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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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sieht, erscheinen ihm auch jene geringfügiger:
oder wenn wir zuweilen über Gedanken und
Charaktere uninteressanter oder stupider Men-
schen sprechen, lege ich diesen alles in den Mund,
was ihn vielleicht in manchen einsamen Stun-
den beunruhigen möchte. So kann ihn keine
Idee überraschen, und seine frühern Gefühle
stehn in einer zu großen Entfernung, als daß
sie ihn wieder erreichen könnten.

Die Eitelkeit ist gewiß das Seil, an wel-
chem die Menschen am leichtesten zu regieren
sind; sobald man es nur dahin bringen kann,
daß sie sich ihrer gestrigen Empfindung schämen,
handeln sie morgen gewiß anders; ein Freund
oder Bekannter darf ihnen nur zu verstehen ge-
ben, was er für groß hält, und morgen suchen
sie sich ihm in dieser Größe unvermerkt zu prä-
sentiren. Die Sucht sich auszubilden, ist im
Grunde nur die Sucht zu gefallen, und zu erst
denen, die uns umgeben; so formt sich der
Mensch wider seinen Willen, und steht am Ende
seiner Wanderschaft schwer behangen mit einem
Trödelkram erlogner Meinungen und Gefühle.


ſieht, erſcheinen ihm auch jene geringfuͤgiger:
oder wenn wir zuweilen uͤber Gedanken und
Charaktere unintereſſanter oder ſtupider Men-
ſchen ſprechen, lege ich dieſen alles in den Mund,
was ihn vielleicht in manchen einſamen Stun-
den beunruhigen moͤchte. So kann ihn keine
Idee uͤberraſchen, und ſeine fruͤhern Gefuͤhle
ſtehn in einer zu großen Entfernung, als daß
ſie ihn wieder erreichen koͤnnten.

Die Eitelkeit iſt gewiß das Seil, an wel-
chem die Menſchen am leichteſten zu regieren
ſind; ſobald man es nur dahin bringen kann,
daß ſie ſich ihrer geſtrigen Empfindung ſchaͤmen,
handeln ſie morgen gewiß anders; ein Freund
oder Bekannter darf ihnen nur zu verſtehen ge-
ben, was er fuͤr groß haͤlt, und morgen ſuchen
ſie ſich ihm in dieſer Groͤße unvermerkt zu praͤ-
ſentiren. Die Sucht ſich auszubilden, iſt im
Grunde nur die Sucht zu gefallen, und zu erſt
denen, die uns umgeben; ſo formt ſich der
Menſch wider ſeinen Willen, und ſteht am Ende
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Troͤdelkram erlogner Meinungen und Gefuͤhle.


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[62/0068] ſieht, erſcheinen ihm auch jene geringfuͤgiger: oder wenn wir zuweilen uͤber Gedanken und Charaktere unintereſſanter oder ſtupider Men- ſchen ſprechen, lege ich dieſen alles in den Mund, was ihn vielleicht in manchen einſamen Stun- den beunruhigen moͤchte. So kann ihn keine Idee uͤberraſchen, und ſeine fruͤhern Gefuͤhle ſtehn in einer zu großen Entfernung, als daß ſie ihn wieder erreichen koͤnnten. Die Eitelkeit iſt gewiß das Seil, an wel- chem die Menſchen am leichteſten zu regieren ſind; ſobald man es nur dahin bringen kann, daß ſie ſich ihrer geſtrigen Empfindung ſchaͤmen, handeln ſie morgen gewiß anders; ein Freund oder Bekannter darf ihnen nur zu verſtehen ge- ben, was er fuͤr groß haͤlt, und morgen ſuchen ſie ſich ihm in dieſer Groͤße unvermerkt zu praͤ- ſentiren. Die Sucht ſich auszubilden, iſt im Grunde nur die Sucht zu gefallen, und zu erſt denen, die uns umgeben; ſo formt ſich der Menſch wider ſeinen Willen, und ſteht am Ende ſeiner Wanderſchaft ſchwer behangen mit einem Troͤdelkram erlogner Meinungen und Gefuͤhle.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/68>, abgerufen am 24.05.2024.