ten im besten Angedenken. Ich bin auf heut Abend zur schwarzäugigen wollüstigen Laura hin- bestellt, die jetzt schon meine ganze Phantasie beschäfftigt.
Wer kann die unbegreiflichen Launen zählen und beschreiben, die im Menschen wohnen? Die seit einigen Wochen in mir erwacht sind, und aus meinem Leben das bunteste und wunder- lichste Gemählde bilden? Frohsinn und Melan- cholie, seltsame Ideen in der ungeheuersten Ver- bindung, schweben und gaukeln vor meinen Au- gen, ohne sich meinem Kopfe oder Herzen zu nähern. Man nenne doch die schöne Erweckung der innersten Gefühle nicht Rausch! Man sehe nicht mit Verachtung auf den Menschen hinab, dem sich plötzlich in der glücklichsten Er- hitzung neue Thore der Erfahrungen aufthun, dem neue Gedanken und Gefühle wie schießende Sterne durch die Seele fliegen, und einen blau- goldnen Pfad hinter sich machen.
O Wein! du herrliche Gabe des Himmels! fließt nicht mit dir ein Göttergefühl durch alle unsre Adern? Flieht nicht dann alles zurück, was uns in so manchen unsrer kalten Stunden demüthigt? Nie stehn wir in uns selbst auf
ten im beſten Angedenken. Ich bin auf heut Abend zur ſchwarzaͤugigen wolluͤſtigen Laura hin- beſtellt, die jetzt ſchon meine ganze Phantaſie beſchaͤfftigt.
Wer kann die unbegreiflichen Launen zaͤhlen und beſchreiben, die im Menſchen wohnen? Die ſeit einigen Wochen in mir erwacht ſind, und aus meinem Leben das bunteſte und wunder- lichſte Gemaͤhlde bilden? Frohſinn und Melan- cholie, ſeltſame Ideen in der ungeheuerſten Ver- bindung, ſchweben und gaukeln vor meinen Au- gen, ohne ſich meinem Kopfe oder Herzen zu naͤhern. Man nenne doch die ſchoͤne Erweckung der innerſten Gefuͤhle nicht Rauſch! Man ſehe nicht mit Verachtung auf den Menſchen hinab, dem ſich ploͤtzlich in der gluͤcklichſten Er- hitzung neue Thore der Erfahrungen aufthun, dem neue Gedanken und Gefuͤhle wie ſchießende Sterne durch die Seele fliegen, und einen blau- goldnen Pfad hinter ſich machen.
O Wein! du herrliche Gabe des Himmels! fließt nicht mit dir ein Goͤttergefuͤhl durch alle unſre Adern? Flieht nicht dann alles zuruͤck, was uns in ſo manchen unſrer kalten Stunden demuͤthigt? Nie ſtehn wir in uns ſelbſt auf
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ten im beſten Angedenken. Ich bin auf heut
Abend zur ſchwarzaͤugigen wolluͤſtigen Laura hin-
beſtellt, die jetzt ſchon meine ganze Phantaſie
beſchaͤfftigt.
Wer kann die unbegreiflichen Launen zaͤhlen
und beſchreiben, die im Menſchen wohnen? Die
ſeit einigen Wochen in mir erwacht ſind, und
aus meinem Leben das bunteſte und wunder-
lichſte Gemaͤhlde bilden? Frohſinn und Melan-
cholie, ſeltſame Ideen in der ungeheuerſten Ver-
bindung, ſchweben und gaukeln vor meinen Au-
gen, ohne ſich meinem Kopfe oder Herzen zu
naͤhern. Man nenne doch die ſchoͤne Erweckung
der innerſten Gefuͤhle nicht Rauſch! Man
ſehe nicht mit Verachtung auf den Menſchen
hinab, dem ſich ploͤtzlich in der gluͤcklichſten Er-
hitzung neue Thore der Erfahrungen aufthun,
dem neue Gedanken und Gefuͤhle wie ſchießende
Sterne durch die Seele fliegen, und einen blau-
goldnen Pfad hinter ſich machen.
O Wein! du herrliche Gabe des Himmels!
fließt nicht mit dir ein Goͤttergefuͤhl durch alle
unſre Adern? Flieht nicht dann alles zuruͤck,
was uns in ſo manchen unſrer kalten Stunden
demuͤthigt? Nie ſtehn wir in uns ſelbſt auf
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/82>, abgerufen am 18.05.2024.
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