winnste. Dies rasche und doch ungewisse Leben, in dem die Leidenschaften unaufhörlich in Bewe- gung gesetzt sind, hat einen großen Reitz für mich. Und welche lehrreiche Schule, um hier die Menschen erst völlig verachten zu lernen! -- Wie der niedrigste Eigennutz, die kleinsten Be- gierden sich in den Gesichtern so hart und wi- drig abspiegeln! Wie jeder nur alles für sich hinraffen möchte, und dem Verlust und der Ver- zweiflung seines Nachbars gelassen zusieht. -- Ich bin schon einigemal schwach genug gewesen, meinen Gewinnst wieder zurück zu geben, um nur die Mienen der Niederträchtigen, die mir so unausstehlich waren, wieder aufzuheitern. Dann nennt man mich großmüthig und edel. O, es ist um toll zu werden!
Lange werde ich es unter diesen Menschen nicht mehr aushalten, ich muß zu Ihnen zu- rück. Ich sehe Italien jetzt als mein Vaterland an, denn Andrea ist dort. Ich erstaune oft, mich hier unter diesen gemeinen Menschen zu finden, wenn ich an die wunderbare Welt denke mit der er mich vertraut machte. Ich kann Ihnen die Empfindung nicht beschreiben, die mich zu- weilen schon mitten in einem Gespräche befallen
winnſte. Dies raſche und doch ungewiſſe Leben, in dem die Leidenſchaften unaufhoͤrlich in Bewe- gung geſetzt ſind, hat einen großen Reitz fuͤr mich. Und welche lehrreiche Schule, um hier die Menſchen erſt voͤllig verachten zu lernen! — Wie der niedrigſte Eigennutz, die kleinſten Be- gierden ſich in den Geſichtern ſo hart und wi- drig abſpiegeln! Wie jeder nur alles fuͤr ſich hinraffen moͤchte, und dem Verluſt und der Ver- zweiflung ſeines Nachbars gelaſſen zuſieht. — Ich bin ſchon einigemal ſchwach genug geweſen, meinen Gewinnſt wieder zuruͤck zu geben, um nur die Mienen der Niedertraͤchtigen, die mir ſo unausſtehlich waren, wieder aufzuheitern. Dann nennt man mich großmuͤthig und edel. O, es iſt um toll zu werden!
Lange werde ich es unter dieſen Menſchen nicht mehr aushalten, ich muß zu Ihnen zu- ruͤck. Ich ſehe Italien jetzt als mein Vaterland an, denn Andrea iſt dort. Ich erſtaune oft, mich hier unter dieſen gemeinen Menſchen zu finden, wenn ich an die wunderbare Welt denke mit der er mich vertraut machte. Ich kann Ihnen die Empfindung nicht beſchreiben, die mich zu- weilen ſchon mitten in einem Geſpraͤche befallen
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winnſte. Dies raſche und doch ungewiſſe Leben,
in dem die Leidenſchaften unaufhoͤrlich in Bewe-
gung geſetzt ſind, hat einen großen Reitz fuͤr
mich. Und welche lehrreiche Schule, um hier
die Menſchen erſt voͤllig verachten zu lernen! —
Wie der niedrigſte Eigennutz, die kleinſten Be-
gierden ſich in den Geſichtern ſo hart und wi-
drig abſpiegeln! Wie jeder nur alles fuͤr ſich
hinraffen moͤchte, und dem Verluſt und der Ver-
zweiflung ſeines Nachbars gelaſſen zuſieht. —
Ich bin ſchon einigemal ſchwach genug geweſen,
meinen Gewinnſt wieder zuruͤck zu geben, um
nur die Mienen der Niedertraͤchtigen, die mir
ſo unausſtehlich waren, wieder aufzuheitern.
Dann nennt man mich großmuͤthig und edel.
O, es iſt um toll zu werden!
Lange werde ich es unter dieſen Menſchen
nicht mehr aushalten, ich muß zu Ihnen zu-
ruͤck. Ich ſehe Italien jetzt als mein Vaterland
an, denn Andrea iſt dort. Ich erſtaune oft,
mich hier unter dieſen gemeinen Menſchen zu
finden, wenn ich an die wunderbare Welt denke
mit der er mich vertraut machte. Ich kann Ihnen
die Empfindung nicht beſchreiben, die mich zu-
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/108>, abgerufen am 23.11.2024.
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