Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

sem Busen vertilgen und mir wie ein frecher,
hohnsprechender Bettler selber genügen, -- ach,
meine Sehnsucht ist jetzt nach der Verwesung
hingerichtet, nach der kalten Erde, die endlich
dies klopfende Herz zur Ruhe bringen wird.
Mir ist, als sollt' ich mit dem Messer dem sie-
denden Blute einen freyen Ausweg machen, das
in meinem Hals drängt und nach dem Gehirne
strömt.

Was werden Sie zur Blainville sagen? Was
empfinden, wenn Sie es hören, wie tief der
Mensch sinken kann? -- Seit sie mich erkannt
hatte, verfolgte sie mich unaufhörlich mit ihren
freundschaftlichen Liebkosungen, sie erinnerte
mich an unsere Vertraulichkeit in Paris und
auf welche Art sie mich damals hintergangen
habe; ich spottete über mich selbst, und wünsch-
te doch innerlich die Unschuld und Unbefangen-
heit jener Zeit zurück. Ich entdeckte ihr mei-
nen Wunsch, Amalien nur einmal zu sehn und
zu sprechen, und sie versprach mir ein Mittel
auszufinden, wenn ich mich dazu verstehen woll-
te, ihr eine Nacht hindurch Gesellschaft zu lei-
sten. O Freund, wie kamen mir in dieser Nacht
Liebe, Wollust, und alle Freuden dieser Welt vor!

ſem Buſen vertilgen und mir wie ein frecher,
hohnſprechender Bettler ſelber genuͤgen, — ach,
meine Sehnſucht iſt jetzt nach der Verweſung
hingerichtet, nach der kalten Erde, die endlich
dies klopfende Herz zur Ruhe bringen wird.
Mir iſt, als ſollt' ich mit dem Meſſer dem ſie-
denden Blute einen freyen Ausweg machen, das
in meinem Hals draͤngt und nach dem Gehirne
ſtroͤmt.

Was werden Sie zur Blainville ſagen? Was
empfinden, wenn Sie es hoͤren, wie tief der
Menſch ſinken kann? — Seit ſie mich erkannt
hatte, verfolgte ſie mich unaufhoͤrlich mit ihren
freundſchaftlichen Liebkoſungen, ſie erinnerte
mich an unſere Vertraulichkeit in Paris und
auf welche Art ſie mich damals hintergangen
habe; ich ſpottete uͤber mich ſelbſt, und wuͤnſch-
te doch innerlich die Unſchuld und Unbefangen-
heit jener Zeit zuruͤck. Ich entdeckte ihr mei-
nen Wunſch, Amalien nur einmal zu ſehn und
zu ſprechen, und ſie verſprach mir ein Mittel
auszufinden, wenn ich mich dazu verſtehen woll-
te, ihr eine Nacht hindurch Geſellſchaft zu lei-
ſten. O Freund, wie kamen mir in dieſer Nacht
Liebe, Wolluſt, und alle Freuden dieſer Welt vor!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0131" n="124"/>
&#x017F;em Bu&#x017F;en vertilgen und mir wie ein frecher,<lb/>
hohn&#x017F;prechender Bettler &#x017F;elber genu&#x0364;gen, &#x2014; ach,<lb/>
meine Sehn&#x017F;ucht i&#x017F;t jetzt nach der Verwe&#x017F;ung<lb/>
hingerichtet, nach der kalten Erde, die endlich<lb/>
dies klopfende Herz zur Ruhe bringen wird.<lb/>
Mir i&#x017F;t, als &#x017F;ollt' ich mit dem Me&#x017F;&#x017F;er dem &#x017F;ie-<lb/>
denden Blute einen freyen Ausweg machen, das<lb/>
in meinem Hals dra&#x0364;ngt und nach dem Gehirne<lb/>
&#x017F;tro&#x0364;mt.</p><lb/>
          <p>Was werden Sie zur Blainville &#x017F;agen? Was<lb/>
empfinden, wenn Sie es ho&#x0364;ren, wie tief der<lb/>
Men&#x017F;ch &#x017F;inken kann? &#x2014; Seit &#x017F;ie mich erkannt<lb/>
hatte, verfolgte &#x017F;ie mich unaufho&#x0364;rlich mit ihren<lb/>
freund&#x017F;chaftlichen Liebko&#x017F;ungen, &#x017F;ie erinnerte<lb/>
mich an un&#x017F;ere Vertraulichkeit in Paris und<lb/>
auf welche Art &#x017F;ie mich damals hintergangen<lb/>
habe; ich &#x017F;pottete u&#x0364;ber mich &#x017F;elb&#x017F;t, und wu&#x0364;n&#x017F;ch-<lb/>
te doch innerlich die Un&#x017F;chuld und Unbefangen-<lb/>
heit jener Zeit zuru&#x0364;ck. Ich entdeckte ihr mei-<lb/>
nen Wun&#x017F;ch, Amalien nur einmal zu &#x017F;ehn und<lb/>
zu &#x017F;prechen, und &#x017F;ie ver&#x017F;prach mir ein Mittel<lb/>
auszufinden, wenn ich mich dazu ver&#x017F;tehen woll-<lb/>
te, ihr eine Nacht hindurch Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zu lei-<lb/>
&#x017F;ten. O Freund, wie kamen mir in die&#x017F;er Nacht<lb/>
Liebe, Wollu&#x017F;t, und alle Freuden die&#x017F;er Welt vor!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0131] ſem Buſen vertilgen und mir wie ein frecher, hohnſprechender Bettler ſelber genuͤgen, — ach, meine Sehnſucht iſt jetzt nach der Verweſung hingerichtet, nach der kalten Erde, die endlich dies klopfende Herz zur Ruhe bringen wird. Mir iſt, als ſollt' ich mit dem Meſſer dem ſie- denden Blute einen freyen Ausweg machen, das in meinem Hals draͤngt und nach dem Gehirne ſtroͤmt. Was werden Sie zur Blainville ſagen? Was empfinden, wenn Sie es hoͤren, wie tief der Menſch ſinken kann? — Seit ſie mich erkannt hatte, verfolgte ſie mich unaufhoͤrlich mit ihren freundſchaftlichen Liebkoſungen, ſie erinnerte mich an unſere Vertraulichkeit in Paris und auf welche Art ſie mich damals hintergangen habe; ich ſpottete uͤber mich ſelbſt, und wuͤnſch- te doch innerlich die Unſchuld und Unbefangen- heit jener Zeit zuruͤck. Ich entdeckte ihr mei- nen Wunſch, Amalien nur einmal zu ſehn und zu ſprechen, und ſie verſprach mir ein Mittel auszufinden, wenn ich mich dazu verſtehen woll- te, ihr eine Nacht hindurch Geſellſchaft zu lei- ſten. O Freund, wie kamen mir in dieſer Nacht Liebe, Wolluſt, und alle Freuden dieſer Welt vor!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/131
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/131>, abgerufen am 23.11.2024.