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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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der sich die durch einander gezogenen Kreise
bewegen.

Auf der Fahrt von Southampton nach
Guernsey hatten wir einen heftigen Sturm.
Der Blitz zersplitterte den einen Mast und die
Wogen donnerten und brausten fürchterlich.
Wir alle kämpften mit der Furcht des Todes
und dicke Nacht lag um uns her. Die Winde
strichen pfeifend über das empörte einsame
Meer hin, und beim Leuchten des Blitzes sahn
wir den Aufruhr der Fluth; das Geschrey der
Matrosen dazwischen, das Wehklagen der Ge-
ängstigten, -- o es waren fürchterliche Stun-
den! Nie hab' ich mich so verlassen gefühlt
und dem blinden Ohngefähr so gänzlich Preis
gegeben. Mit der Kälte der Verzweiflung er-
wartete ich riesengroße Wogen, die das Schiff
verschlängen, krachende Blitze, die es zerschmet-
terten, den Orkan, der es auf eine Klippe
schleuderte. Eine fremde, bis dahin unbekannte
Gewalt, die Liebe zum Leben, der Instinkt alles
Lebendigen stand in meiner Brust auf und be-
herrschte mich und mein Bewußtseyn. Ich
lernte zum erstenmale die Furcht, die Angst vor
dem Tode kennen; ich klammerte mich an den

der ſich die durch einander gezogenen Kreiſe
bewegen.

Auf der Fahrt von Southampton nach
Guernſey hatten wir einen heftigen Sturm.
Der Blitz zerſplitterte den einen Maſt und die
Wogen donnerten und brauſten fuͤrchterlich.
Wir alle kaͤmpften mit der Furcht des Todes
und dicke Nacht lag um uns her. Die Winde
ſtrichen pfeifend uͤber das empoͤrte einſame
Meer hin, und beim Leuchten des Blitzes ſahn
wir den Aufruhr der Fluth; das Geſchrey der
Matroſen dazwiſchen, das Wehklagen der Ge-
aͤngſtigten, — o es waren fuͤrchterliche Stun-
den! Nie hab' ich mich ſo verlaſſen gefuͤhlt
und dem blinden Ohngefaͤhr ſo gaͤnzlich Preis
gegeben. Mit der Kaͤlte der Verzweiflung er-
wartete ich rieſengroße Wogen, die das Schiff
verſchlaͤngen, krachende Blitze, die es zerſchmet-
terten, den Orkan, der es auf eine Klippe
ſchleuderte. Eine fremde, bis dahin unbekannte
Gewalt, die Liebe zum Leben, der Inſtinkt alles
Lebendigen ſtand in meiner Bruſt auf und be-
herrſchte mich und mein Bewußtſeyn. Ich
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[194/0201] der ſich die durch einander gezogenen Kreiſe bewegen. Auf der Fahrt von Southampton nach Guernſey hatten wir einen heftigen Sturm. Der Blitz zerſplitterte den einen Maſt und die Wogen donnerten und brauſten fuͤrchterlich. Wir alle kaͤmpften mit der Furcht des Todes und dicke Nacht lag um uns her. Die Winde ſtrichen pfeifend uͤber das empoͤrte einſame Meer hin, und beim Leuchten des Blitzes ſahn wir den Aufruhr der Fluth; das Geſchrey der Matroſen dazwiſchen, das Wehklagen der Ge- aͤngſtigten, — o es waren fuͤrchterliche Stun- den! Nie hab' ich mich ſo verlaſſen gefuͤhlt und dem blinden Ohngefaͤhr ſo gaͤnzlich Preis gegeben. Mit der Kaͤlte der Verzweiflung er- wartete ich rieſengroße Wogen, die das Schiff verſchlaͤngen, krachende Blitze, die es zerſchmet- terten, den Orkan, der es auf eine Klippe ſchleuderte. Eine fremde, bis dahin unbekannte Gewalt, die Liebe zum Leben, der Inſtinkt alles Lebendigen ſtand in meiner Bruſt auf und be- herrſchte mich und mein Bewußtſeyn. Ich lernte zum erſtenmale die Furcht, die Angſt vor dem Tode kennen; ich klammerte mich an den

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/201>, abgerufen am 22.11.2024.