durch seine Sinnlichkeit, die ihn unerbittlich an Nichtswürdigkeiten fesselt. Alles, was Freu- de, Schönheit, Genuß und Witz heißt, bezieht sich immer unmittelbar auf die gröbste Sinnlich- keit; das Menschengeschlecht ermüdet nicht bey denselben frostigen Späßen, die Phantasie be- kömmt keinen Ekel vor sich selber. O, mir zit- tert oft das Herz, wenn ich die Menschen um mich her lachen sehe, wenn ich junge Leute be- trachte, die sich in ihrer Verächtlichkeit so glücklich fühlen. Kein Gedanke hebt dies Ge- schlecht über seine jämmerliche Eingeschränktheit hinaus. Ach, wenn ich dann aus ihrer Gesell- schaft unter den freyen Himmel trete, und die ewige Schaar der unendlichen Welten über mei- nem Kopfe funkeln, wenn ich mich mit Schwindeln in die Millionen dieser Erden verliere und andre und noch höhere ahnde, wenn ich den Mond betrachte und Städte, Berge und Wäl- der auf seiner Scheibe entdecken möchte, -- und ich komme dann zu mir und zur gewöhnlichen Heimath meiner Gedanken zurück! Karten, Würfel und unzüchtige Gespräche. Die Seele läugnet sich selbst ihre Schwingen ab und wohnt mit Wohlbehagen in einem schmutzigen Kerker,
durch ſeine Sinnlichkeit, die ihn unerbittlich an Nichtswuͤrdigkeiten feſſelt. Alles, was Freu- de, Schoͤnheit, Genuß und Witz heißt, bezieht ſich immer unmittelbar auf die groͤbſte Sinnlich- keit; das Menſchengeſchlecht ermuͤdet nicht bey denſelben froſtigen Spaͤßen, die Phantaſie be- koͤmmt keinen Ekel vor ſich ſelber. O, mir zit- tert oft das Herz, wenn ich die Menſchen um mich her lachen ſehe, wenn ich junge Leute be- trachte, die ſich in ihrer Veraͤchtlichkeit ſo gluͤcklich fuͤhlen. Kein Gedanke hebt dies Ge- ſchlecht uͤber ſeine jaͤmmerliche Eingeſchraͤnktheit hinaus. Ach, wenn ich dann aus ihrer Geſell- ſchaft unter den freyen Himmel trete, und die ewige Schaar der unendlichen Welten uͤber mei- nem Kopfe funkeln, wenn ich mich mit Schwindeln in die Millionen dieſer Erden verliere und andre und noch hoͤhere ahnde, wenn ich den Mond betrachte und Staͤdte, Berge und Waͤl- der auf ſeiner Scheibe entdecken moͤchte, — und ich komme dann zu mir und zur gewoͤhnlichen Heimath meiner Gedanken zuruͤck! Karten, Wuͤrfel und unzuͤchtige Geſpraͤche. Die Seele laͤugnet ſich ſelbſt ihre Schwingen ab und wohnt mit Wohlbehagen in einem ſchmutzigen Kerker,
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durch ſeine Sinnlichkeit, die ihn unerbittlich
an Nichtswuͤrdigkeiten feſſelt. Alles, was Freu-
de, Schoͤnheit, Genuß und Witz heißt, bezieht
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denſelben froſtigen Spaͤßen, die Phantaſie be-
koͤmmt keinen Ekel vor ſich ſelber. O, mir zit-
tert oft das Herz, wenn ich die Menſchen um
mich her lachen ſehe, wenn ich junge Leute be-
trachte, die ſich in ihrer Veraͤchtlichkeit ſo
gluͤcklich fuͤhlen. Kein Gedanke hebt dies Ge-
ſchlecht uͤber ſeine jaͤmmerliche Eingeſchraͤnktheit
hinaus. Ach, wenn ich dann aus ihrer Geſell-
ſchaft unter den freyen Himmel trete, und die
ewige Schaar der unendlichen Welten uͤber mei-
nem Kopfe funkeln, wenn ich mich mit
Schwindeln in die Millionen dieſer Erden verliere
und andre und noch hoͤhere ahnde, wenn ich den
Mond betrachte und Staͤdte, Berge und Waͤl-
der auf ſeiner Scheibe entdecken moͤchte, — und
ich komme dann zu mir und zur gewoͤhnlichen
Heimath meiner Gedanken zuruͤck! Karten,
Wuͤrfel und unzuͤchtige Geſpraͤche. Die Seele
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/238>, abgerufen am 26.11.2024.
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