Lieber Rosa, ich habe nun mein Vermögen völlig, durchaus verloren. Ich erinnere mich dunkel meines neulichen Briefes und seines In- halts, verzeihen Sie mir, er mag enthalten, was er will, denn ich schrieb ihn in einer Stimmung, in der ich mich selbst nicht kannte. Es geschieht zuweilen, daß wir gegen unsern Willen etwas sagen oder thun, was der Freund immer als völlig ungeschehen ansehn muß. Ich weiß nicht, wie ich zu Ihnen nach Italien kommen soll: ich bereue jetzt meinen Wahnsinn und verachte mich eben dieser Reue wegen. Hätt' ich jetzt nur die Hälfte, nur das Viertel von jenen Summen zurück, die ich in England als Dummkopf an Dummköpfe verschenkte! Gegen mich ist keiner so großmüthig gewesen, die übrigen Menschen sind klüger, und halten ihren Gewinnst für ihr förmliches Eigenthum. O, in welcher Welt ist man gezwungen zu le-
35. William Lovell an Roſa.
Paris.
Lieber Roſa, ich habe nun mein Vermoͤgen voͤllig, durchaus verloren. Ich erinnere mich dunkel meines neulichen Briefes und ſeines In- halts, verzeihen Sie mir, er mag enthalten, was er will, denn ich ſchrieb ihn in einer Stimmung, in der ich mich ſelbſt nicht kannte. Es geſchieht zuweilen, daß wir gegen unſern Willen etwas ſagen oder thun, was der Freund immer als voͤllig ungeſchehen anſehn muß. Ich weiß nicht, wie ich zu Ihnen nach Italien kommen ſoll: ich bereue jetzt meinen Wahnſinn und verachte mich eben dieſer Reue wegen. Haͤtt' ich jetzt nur die Haͤlfte, nur das Viertel von jenen Summen zuruͤck, die ich in England als Dummkopf an Dummkoͤpfe verſchenkte! Gegen mich iſt keiner ſo großmuͤthig geweſen, die uͤbrigen Menſchen ſind kluͤger, und halten ihren Gewinnſt fuͤr ihr foͤrmliches Eigenthum. O, in welcher Welt iſt man gezwungen zu le-
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35.
William Lovell an Roſa.
Paris.
Lieber Roſa, ich habe nun mein Vermoͤgen
voͤllig, durchaus verloren. Ich erinnere mich
dunkel meines neulichen Briefes und ſeines In-
halts, verzeihen Sie mir, er mag enthalten,
was er will, denn ich ſchrieb ihn in einer
Stimmung, in der ich mich ſelbſt nicht kannte.
Es geſchieht zuweilen, daß wir gegen unſern
Willen etwas ſagen oder thun, was der Freund
immer als voͤllig ungeſchehen anſehn muß. Ich
weiß nicht, wie ich zu Ihnen nach Italien
kommen ſoll: ich bereue jetzt meinen Wahnſinn
und verachte mich eben dieſer Reue wegen.
Haͤtt' ich jetzt nur die Haͤlfte, nur das Viertel
von jenen Summen zuruͤck, die ich in England
als Dummkopf an Dummkoͤpfe verſchenkte!
Gegen mich iſt keiner ſo großmuͤthig geweſen,
die uͤbrigen Menſchen ſind kluͤger, und halten
ihren Gewinnſt fuͤr ihr foͤrmliches Eigenthum.
O, in welcher Welt iſt man gezwungen zu le-
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/257>, abgerufen am 22.11.2024.
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