Es ist gut, Rosa, alles was Sie mir da schreiben, und doch auch wieder nicht gut. Sie haben Recht, und doch kann ich es nicht glau- ben; am Ende ist alles einerley. Nur Vor- würfe hätten Sie mir nicht machen sollen, denn diese habe ich wenigstens nicht so verdient. In der Gesellschaft muß man vergessen, daß man unter Menschen lebt; und ich will es auch ver- gessen. O der schönen, der theuren Freund- schaft! Doch lassen Sie es gut seyn, Rosa, ich will nicht weiter daran denken. -- Ich war ein Thor, auf Hülfe zu hoffen, das sehe ich jetzt sehr deutlich ein, vergessen Sie es auch und rechnen Sie es zu meinen übrigen Thor- heiten, die Sie so oft bemitleidet haben.
Und was will ich denn auch mehr? Lebe ich nicht hier noch eben so, wie sonst? Was kann man mehr verlangen, als zu leben? Ich bin jetzt mit dem Elende der unglücklichsten
37. William Lovell an Roſa.
Paris.
Es iſt gut, Roſa, alles was Sie mir da ſchreiben, und doch auch wieder nicht gut. Sie haben Recht, und doch kann ich es nicht glau- ben; am Ende iſt alles einerley. Nur Vor- wuͤrfe haͤtten Sie mir nicht machen ſollen, denn dieſe habe ich wenigſtens nicht ſo verdient. In der Geſellſchaft muß man vergeſſen, daß man unter Menſchen lebt; und ich will es auch ver- geſſen. O der ſchoͤnen, der theuren Freund- ſchaft! Doch laſſen Sie es gut ſeyn, Roſa, ich will nicht weiter daran denken. — Ich war ein Thor, auf Huͤlfe zu hoffen, das ſehe ich jetzt ſehr deutlich ein, vergeſſen Sie es auch und rechnen Sie es zu meinen uͤbrigen Thor- heiten, die Sie ſo oft bemitleidet haben.
Und was will ich denn auch mehr? Lebe ich nicht hier noch eben ſo, wie ſonſt? Was kann man mehr verlangen, als zu leben? Ich bin jetzt mit dem Elende der ungluͤcklichſten
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37.
William Lovell an Roſa.
Paris.
Es iſt gut, Roſa, alles was Sie mir da
ſchreiben, und doch auch wieder nicht gut. Sie
haben Recht, und doch kann ich es nicht glau-
ben; am Ende iſt alles einerley. Nur Vor-
wuͤrfe haͤtten Sie mir nicht machen ſollen, denn
dieſe habe ich wenigſtens nicht ſo verdient. In
der Geſellſchaft muß man vergeſſen, daß man
unter Menſchen lebt; und ich will es auch ver-
geſſen. O der ſchoͤnen, der theuren Freund-
ſchaft! Doch laſſen Sie es gut ſeyn, Roſa,
ich will nicht weiter daran denken. — Ich war
ein Thor, auf Huͤlfe zu hoffen, das ſehe ich
jetzt ſehr deutlich ein, vergeſſen Sie es auch
und rechnen Sie es zu meinen uͤbrigen Thor-
heiten, die Sie ſo oft bemitleidet haben.
Und was will ich denn auch mehr? Lebe
ich nicht hier noch eben ſo, wie ſonſt? Was
kann man mehr verlangen, als zu leben? Ich
bin jetzt mit dem Elende der ungluͤcklichſten
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/265>, abgerufen am 22.11.2024.
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