ein ganz guter Räuber aus mir. Zum Men- schen bin ich verdorben, das heißt, daß ich für einen Menschen jetzt viel zu gut bin: man muß seinen Verstand und seine Gefühle nur bis auf einen gewissen Punkt aufklären, tausend Dinge muß man blindlings und auf gut Glück anneh- men, um ein Mensch zu bleiben. -- Leben Sie wohl, ich will in diesem Briefe bey Gele- genheit fortfahren, weil ich noch nicht einsehe, auf welche Art Sie ihn bekommen sollen. --
Es ist Nacht, und ich muß jetzt schreiben, weil ich meinen Gesellschaftern nicht gerne die- sen Brief sehen lassen möchte. Ich habe eigent- lich nichts zu schreiben, aber ich bin nicht ru- hig genug, um einzuschlafen. Es liegen einige erbeutete französische Tragödien da, die mich aber anekeln: ich ärgre mich, daß ich nichts von Shakspear hier habe, der mein Gefühl vielleicht noch mehr empörte, um es zu be- ruhigen.
Ich komme mir hier in der dunkeln einsa- men Hütte wie ein vertriebener Weiser vor, der die Welt und ihre Albernheiten verlassen
ein ganz guter Raͤuber aus mir. Zum Men- ſchen bin ich verdorben, das heißt, daß ich fuͤr einen Menſchen jetzt viel zu gut bin: man muß ſeinen Verſtand und ſeine Gefuͤhle nur bis auf einen gewiſſen Punkt aufklaͤren, tauſend Dinge muß man blindlings und auf gut Gluͤck anneh- men, um ein Menſch zu bleiben. — Leben Sie wohl, ich will in dieſem Briefe bey Gele- genheit fortfahren, weil ich noch nicht einſehe, auf welche Art Sie ihn bekommen ſollen. —
Es iſt Nacht, und ich muß jetzt ſchreiben, weil ich meinen Geſellſchaftern nicht gerne die- ſen Brief ſehen laſſen moͤchte. Ich habe eigent- lich nichts zu ſchreiben, aber ich bin nicht ru- hig genug, um einzuſchlafen. Es liegen einige erbeutete franzoͤſiſche Tragoͤdien da, die mich aber anekeln: ich aͤrgre mich, daß ich nichts von Shakſpear hier habe, der mein Gefuͤhl vielleicht noch mehr empoͤrte, um es zu be- ruhigen.
Ich komme mir hier in der dunkeln einſa- men Huͤtte wie ein vertriebener Weiſer vor, der die Welt und ihre Albernheiten verlaſſen
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ein ganz guter Raͤuber aus mir. Zum Men-
ſchen bin ich verdorben, das heißt, daß ich fuͤr
einen Menſchen jetzt viel zu gut bin: man muß
ſeinen Verſtand und ſeine Gefuͤhle nur bis auf
einen gewiſſen Punkt aufklaͤren, tauſend Dinge
muß man blindlings und auf gut Gluͤck anneh-
men, um ein Menſch zu bleiben. — Leben
Sie wohl, ich will in dieſem Briefe bey Gele-
genheit fortfahren, weil ich noch nicht einſehe,
auf welche Art Sie ihn bekommen ſollen. —
Es iſt Nacht, und ich muß jetzt ſchreiben,
weil ich meinen Geſellſchaftern nicht gerne die-
ſen Brief ſehen laſſen moͤchte. Ich habe eigent-
lich nichts zu ſchreiben, aber ich bin nicht ru-
hig genug, um einzuſchlafen. Es liegen einige
erbeutete franzoͤſiſche Tragoͤdien da, die mich
aber anekeln: ich aͤrgre mich, daß ich nichts
von Shakſpear hier habe, der mein Gefuͤhl
vielleicht noch mehr empoͤrte, um es zu be-
ruhigen.
Ich komme mir hier in der dunkeln einſa-
men Huͤtte wie ein vertriebener Weiſer vor,
der die Welt und ihre Albernheiten verlaſſen
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/290>, abgerufen am 22.11.2024.
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