Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

hat. Wenn ich mir einen solchen Eremiten
recht lebendig vorstelle, so wird mir gleich recht
verständig zu Muthe. Balder sollte jetzt mit
mir diese Wüste bewohnen, ich würde jetzt
recht leicht mit ihm sympathisiren.

Ich möchte scherzen, um die Schauer von
mir zu entfernen, die mich umgeben. Der
Wind rauscht einsam über die Wälder daher
und die Sterne stehn wehmüthig über Bäume
und Felsen: Mondschein schimmert herüber und
dichte Schatten fallen von den Bergen herun-
ter. Ich strecke in Gedanken die Hand aus,
um der Hand eines Freundes zu begegnen, vor-
züglich sehn' ich mich nach dem alten ehrlichen
Willy: ich bilde mir ein, er sitzt neben mir
und führe ein tiefsinniges Gespräch mit ihm.
Es ist, als wollten wohlbekannte Stimmen aus
der Wand herausreden, und ich entsetze mich
vor jedem Schalle. Wirft das Licht nicht selt-
same Schatten gegen die Mauer? Wer kann
wissen, was ein Schatten ist und was er zu
bedeuten hat? -- Schläfrige Nachtschmetterlinge
sind zum offnen Fenster hereingeschlüpft und
wüst' und träge summen sie jetzt durch das Ge-
mach: in immer engern Kreisen treiben sie sich

hat. Wenn ich mir einen ſolchen Eremiten
recht lebendig vorſtelle, ſo wird mir gleich recht
verſtaͤndig zu Muthe. Balder ſollte jetzt mit
mir dieſe Wuͤſte bewohnen, ich wuͤrde jetzt
recht leicht mit ihm ſympathiſiren.

Ich moͤchte ſcherzen, um die Schauer von
mir zu entfernen, die mich umgeben. Der
Wind rauſcht einſam uͤber die Waͤlder daher
und die Sterne ſtehn wehmuͤthig uͤber Baͤume
und Felſen: Mondſchein ſchimmert heruͤber und
dichte Schatten fallen von den Bergen herun-
ter. Ich ſtrecke in Gedanken die Hand aus,
um der Hand eines Freundes zu begegnen, vor-
zuͤglich ſehn' ich mich nach dem alten ehrlichen
Willy: ich bilde mir ein, er ſitzt neben mir
und fuͤhre ein tiefſinniges Geſpraͤch mit ihm.
Es iſt, als wollten wohlbekannte Stimmen aus
der Wand herausreden, und ich entſetze mich
vor jedem Schalle. Wirft das Licht nicht ſelt-
ſame Schatten gegen die Mauer? Wer kann
wiſſen, was ein Schatten iſt und was er zu
bedeuten hat? — Schlaͤfrige Nachtſchmetterlinge
ſind zum offnen Fenſter hereingeſchluͤpft und
wuͤſt' und traͤge ſummen ſie jetzt durch das Ge-
mach: in immer engern Kreiſen treiben ſie ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0291" n="284"/>
hat. Wenn ich mir einen &#x017F;olchen Eremiten<lb/>
recht lebendig vor&#x017F;telle, &#x017F;o wird mir gleich recht<lb/>
ver&#x017F;ta&#x0364;ndig zu Muthe. Balder &#x017F;ollte jetzt mit<lb/>
mir die&#x017F;e Wu&#x0364;&#x017F;te bewohnen, ich wu&#x0364;rde jetzt<lb/>
recht leicht mit ihm &#x017F;ympathi&#x017F;iren.</p><lb/>
          <p>Ich mo&#x0364;chte &#x017F;cherzen, um die Schauer von<lb/>
mir zu entfernen, die mich umgeben. Der<lb/>
Wind rau&#x017F;cht ein&#x017F;am u&#x0364;ber die Wa&#x0364;lder daher<lb/>
und die Sterne &#x017F;tehn wehmu&#x0364;thig u&#x0364;ber Ba&#x0364;ume<lb/>
und Fel&#x017F;en: Mond&#x017F;chein &#x017F;chimmert heru&#x0364;ber und<lb/>
dichte Schatten fallen von den Bergen herun-<lb/>
ter. Ich &#x017F;trecke in Gedanken die Hand aus,<lb/>
um der Hand eines Freundes zu begegnen, vor-<lb/>
zu&#x0364;glich &#x017F;ehn' ich mich nach dem alten ehrlichen<lb/>
Willy: ich bilde mir ein, er &#x017F;itzt neben mir<lb/>
und fu&#x0364;hre ein tief&#x017F;inniges Ge&#x017F;pra&#x0364;ch mit ihm.<lb/>
Es i&#x017F;t, als wollten wohlbekannte Stimmen aus<lb/>
der Wand herausreden, und ich ent&#x017F;etze mich<lb/>
vor jedem Schalle. Wirft das Licht nicht &#x017F;elt-<lb/>
&#x017F;ame Schatten gegen die Mauer? Wer kann<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, was ein Schatten i&#x017F;t und was er zu<lb/>
bedeuten hat? &#x2014; Schla&#x0364;frige Nacht&#x017F;chmetterlinge<lb/>
&#x017F;ind zum offnen Fen&#x017F;ter hereinge&#x017F;chlu&#x0364;pft und<lb/>
wu&#x0364;&#x017F;t' und tra&#x0364;ge &#x017F;ummen &#x017F;ie jetzt durch das Ge-<lb/>
mach: in immer engern Krei&#x017F;en treiben &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0291] hat. Wenn ich mir einen ſolchen Eremiten recht lebendig vorſtelle, ſo wird mir gleich recht verſtaͤndig zu Muthe. Balder ſollte jetzt mit mir dieſe Wuͤſte bewohnen, ich wuͤrde jetzt recht leicht mit ihm ſympathiſiren. Ich moͤchte ſcherzen, um die Schauer von mir zu entfernen, die mich umgeben. Der Wind rauſcht einſam uͤber die Waͤlder daher und die Sterne ſtehn wehmuͤthig uͤber Baͤume und Felſen: Mondſchein ſchimmert heruͤber und dichte Schatten fallen von den Bergen herun- ter. Ich ſtrecke in Gedanken die Hand aus, um der Hand eines Freundes zu begegnen, vor- zuͤglich ſehn' ich mich nach dem alten ehrlichen Willy: ich bilde mir ein, er ſitzt neben mir und fuͤhre ein tiefſinniges Geſpraͤch mit ihm. Es iſt, als wollten wohlbekannte Stimmen aus der Wand herausreden, und ich entſetze mich vor jedem Schalle. Wirft das Licht nicht ſelt- ſame Schatten gegen die Mauer? Wer kann wiſſen, was ein Schatten iſt und was er zu bedeuten hat? — Schlaͤfrige Nachtſchmetterlinge ſind zum offnen Fenſter hereingeſchluͤpft und wuͤſt' und traͤge ſummen ſie jetzt durch das Ge- mach: in immer engern Kreiſen treiben ſie ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/291
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/291>, abgerufen am 22.11.2024.