um die Flamme des Lichtes, um sich zu ver- sengen und zu sterben. Ein Zweig des Bau- mes klatscht gegen mein Fenster, er fährt auf und nieder und verdeckt mir bald die Sterne, bald zeigt er sie mir im bläulicht grünen Luft- raume. Ich weiß nicht, warum mich alles er- schreckt, warum der Himmel mit seinen Ster- nen so wehmüthig über mir steht. -- In der Einsamkeit liegt eine Bangigkeit, die unsre ganze Seele zusammenzieht; wir entsetzen uns vor der großen, ungeheuren Natur, wenn kein Sonnenschein die große Scene beleuchtet und unsern Blick und unsre Aufmerksamkeit auf die einzelnen Parthien richtet, sondern wenn die Finsterniß alles zu einem unübersehlichen Chaos vereinigt. Dann gehen wir völlig im wilden, ungeheuern Meere unter, wo Wogen sich auf Wogen wälzen und alles gestaltlos und ohne Regel durcheinander fluthet. Nirgends kann man sich festhalten; unsre Welt sieht dann aus wie eine ehemalige Erde, die so eben in der Zertrümmerung begriffen ist -- und wir werden unbemerkt mit verschlungen.
Ich wünsche in Rom zu seyn und Andrea zu sehn und zu sprechen. -- Das Leben hier
um die Flamme des Lichtes, um ſich zu ver- ſengen und zu ſterben. Ein Zweig des Bau- mes klatſcht gegen mein Fenſter, er faͤhrt auf und nieder und verdeckt mir bald die Sterne, bald zeigt er ſie mir im blaͤulicht gruͤnen Luft- raume. Ich weiß nicht, warum mich alles er- ſchreckt, warum der Himmel mit ſeinen Ster- nen ſo wehmuͤthig uͤber mir ſteht. — In der Einſamkeit liegt eine Bangigkeit, die unſre ganze Seele zuſammenzieht; wir entſetzen uns vor der großen, ungeheuren Natur, wenn kein Sonnenſchein die große Scene beleuchtet und unſern Blick und unſre Aufmerkſamkeit auf die einzelnen Parthien richtet, ſondern wenn die Finſterniß alles zu einem unuͤberſehlichen Chaos vereinigt. Dann gehen wir voͤllig im wilden, ungeheuern Meere unter, wo Wogen ſich auf Wogen waͤlzen und alles geſtaltlos und ohne Regel durcheinander fluthet. Nirgends kann man ſich feſthalten; unſre Welt ſieht dann aus wie eine ehemalige Erde, die ſo eben in der Zertruͤmmerung begriffen iſt — und wir werden unbemerkt mit verſchlungen.
Ich wuͤnſche in Rom zu ſeyn und Andrea zu ſehn und zu ſprechen. — Das Leben hier
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um die Flamme des Lichtes, um ſich zu ver-
ſengen und zu ſterben. Ein Zweig des Bau-
mes klatſcht gegen mein Fenſter, er faͤhrt auf
und nieder und verdeckt mir bald die Sterne,
bald zeigt er ſie mir im blaͤulicht gruͤnen Luft-
raume. Ich weiß nicht, warum mich alles er-
ſchreckt, warum der Himmel mit ſeinen Ster-
nen ſo wehmuͤthig uͤber mir ſteht. — In der
Einſamkeit liegt eine Bangigkeit, die unſre
ganze Seele zuſammenzieht; wir entſetzen uns
vor der großen, ungeheuren Natur, wenn kein
Sonnenſchein die große Scene beleuchtet und
unſern Blick und unſre Aufmerkſamkeit auf die
einzelnen Parthien richtet, ſondern wenn die
Finſterniß alles zu einem unuͤberſehlichen Chaos
vereinigt. Dann gehen wir voͤllig im wilden,
ungeheuern Meere unter, wo Wogen ſich auf
Wogen waͤlzen und alles geſtaltlos und ohne
Regel durcheinander fluthet. Nirgends kann
man ſich feſthalten; unſre Welt ſieht dann aus
wie eine ehemalige Erde, die ſo eben in der
Zertruͤmmerung begriffen iſt — und wir werden
unbemerkt mit verſchlungen.
Ich wuͤnſche in Rom zu ſeyn und Andrea
zu ſehn und zu ſprechen. — Das Leben hier
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/292>, abgerufen am 22.11.2024.
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