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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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mißfällt mir seiner Einförmigkeit wegen, mein
Geist muß jetzt einen andern Schwung nehmen,
oder ich gebe mich selbst verloren. Eine größere
Seele muß mich jetzt beschützen, oder ein Elend,
wie es vielleicht noch keinem Menschen zu Theil
ward, ist mein Loos. --

Wer ist das, der unter unsern Wipfeln
hinweggeht? so scheinen mir die Bäume nach-
zurufen; jede Wolke und jeder Berg macht eine
drohende Gebehrde, -- ach, und die Menschen
um mich her! sie demüthigen mich am meisten.
Auf eine betrübte Art sind sie sich selbst genug,
ihre Trägheit und einen jämmerlichen Leichtsinn
halten sie für Stärke der Seele; sie bemerken
die Leere in ihrem Geiste nicht, die Anlage im
Verstande, die ohne die mindeste Vollendung
liegen blieb. Sie sind nichts als redende Bil-
der, die den Menschen und mich verachten,
weil sie sich selbst nicht achten können.

Sie sprechen oft viel von einem Rudolpho
und Pietro, die sich immer durch ihre Brav-
heit ausgezeichnet hätten und die bey einem
Ueberfalle umgekommen wären. Sie wissen es
nicht, Rosa, daß sie durch mich und durch
Ihren Ferdinand umkamen; sie würden mich

mißfaͤllt mir ſeiner Einfoͤrmigkeit wegen, mein
Geiſt muß jetzt einen andern Schwung nehmen,
oder ich gebe mich ſelbſt verloren. Eine groͤßere
Seele muß mich jetzt beſchuͤtzen, oder ein Elend,
wie es vielleicht noch keinem Menſchen zu Theil
ward, iſt mein Loos. —

Wer iſt das, der unter unſern Wipfeln
hinweggeht? ſo ſcheinen mir die Baͤume nach-
zurufen; jede Wolke und jeder Berg macht eine
drohende Gebehrde, — ach, und die Menſchen
um mich her! ſie demuͤthigen mich am meiſten.
Auf eine betruͤbte Art ſind ſie ſich ſelbſt genug,
ihre Traͤgheit und einen jaͤmmerlichen Leichtſinn
halten ſie fuͤr Staͤrke der Seele; ſie bemerken
die Leere in ihrem Geiſte nicht, die Anlage im
Verſtande, die ohne die mindeſte Vollendung
liegen blieb. Sie ſind nichts als redende Bil-
der, die den Menſchen und mich verachten,
weil ſie ſich ſelbſt nicht achten koͤnnen.

Sie ſprechen oft viel von einem Rudolpho
und Pietro, die ſich immer durch ihre Brav-
heit ausgezeichnet haͤtten und die bey einem
Ueberfalle umgekommen waͤren. Sie wiſſen es
nicht, Roſa, daß ſie durch mich und durch
Ihren Ferdinand umkamen; ſie wuͤrden mich

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[286/0293] mißfaͤllt mir ſeiner Einfoͤrmigkeit wegen, mein Geiſt muß jetzt einen andern Schwung nehmen, oder ich gebe mich ſelbſt verloren. Eine groͤßere Seele muß mich jetzt beſchuͤtzen, oder ein Elend, wie es vielleicht noch keinem Menſchen zu Theil ward, iſt mein Loos. — Wer iſt das, der unter unſern Wipfeln hinweggeht? ſo ſcheinen mir die Baͤume nach- zurufen; jede Wolke und jeder Berg macht eine drohende Gebehrde, — ach, und die Menſchen um mich her! ſie demuͤthigen mich am meiſten. Auf eine betruͤbte Art ſind ſie ſich ſelbſt genug, ihre Traͤgheit und einen jaͤmmerlichen Leichtſinn halten ſie fuͤr Staͤrke der Seele; ſie bemerken die Leere in ihrem Geiſte nicht, die Anlage im Verſtande, die ohne die mindeſte Vollendung liegen blieb. Sie ſind nichts als redende Bil- der, die den Menſchen und mich verachten, weil ſie ſich ſelbſt nicht achten koͤnnen. Sie ſprechen oft viel von einem Rudolpho und Pietro, die ſich immer durch ihre Brav- heit ausgezeichnet haͤtten und die bey einem Ueberfalle umgekommen waͤren. Sie wiſſen es nicht, Roſa, daß ſie durch mich und durch Ihren Ferdinand umkamen; ſie wuͤrden mich

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/293>, abgerufen am 25.11.2024.