Wie ich es gleich befürchtete, liebste Freun- dinn, Sie sind viel zu ängstlich, das verdirbt jedermann die Laune, der Sie besucht, und ich muß Ihnen aufrichtig gestehn, daß man Sie eben darum ungern besucht, denn die mensch- liche Natur hat einen Widerwillen gegen alle Traurigkeit und Finsterniß, alles in der Welt kömmt einem dann gleich so klein und unbe- deutend vor, und auf diese Art nutzt sich am Ende das Leben so wie ein Kleid ab. Sie neh- men auch alles gar zu genau, liebe Bianka; wer wollte es im Leben genau nehmen? Sind nicht Priester und Prälaten bey uns gewesen und haben sich mit uns gefreut? Auf sie fällt größere Schuld, als auf uns selbst, denn sie haben uns in unserm Lebenswandel bestärkt. Beichten Sie, liebste Freundinn, und seyn Sie dann außer Sorgen, gegen alles ist Hülfe, nur nicht gegen den Tod, und diesen werden Sie
6. Laura an Bianka.
Wie ich es gleich befuͤrchtete, liebſte Freun- dinn, Sie ſind viel zu aͤngſtlich, das verdirbt jedermann die Laune, der Sie beſucht, und ich muß Ihnen aufrichtig geſtehn, daß man Sie eben darum ungern beſucht, denn die menſch- liche Natur hat einen Widerwillen gegen alle Traurigkeit und Finſterniß, alles in der Welt koͤmmt einem dann gleich ſo klein und unbe- deutend vor, und auf dieſe Art nutzt ſich am Ende das Leben ſo wie ein Kleid ab. Sie neh- men auch alles gar zu genau, liebe Bianka; wer wollte es im Leben genau nehmen? Sind nicht Prieſter und Praͤlaten bey uns geweſen und haben ſich mit uns gefreut? Auf ſie faͤllt groͤßere Schuld, als auf uns ſelbſt, denn ſie haben uns in unſerm Lebenswandel beſtaͤrkt. Beichten Sie, liebſte Freundinn, und ſeyn Sie dann außer Sorgen, gegen alles iſt Huͤlfe, nur nicht gegen den Tod, und dieſen werden Sie
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6.
Laura an Bianka.
Wie ich es gleich befuͤrchtete, liebſte Freun-
dinn, Sie ſind viel zu aͤngſtlich, das verdirbt
jedermann die Laune, der Sie beſucht, und ich
muß Ihnen aufrichtig geſtehn, daß man Sie
eben darum ungern beſucht, denn die menſch-
liche Natur hat einen Widerwillen gegen alle
Traurigkeit und Finſterniß, alles in der Welt
koͤmmt einem dann gleich ſo klein und unbe-
deutend vor, und auf dieſe Art nutzt ſich am
Ende das Leben ſo wie ein Kleid ab. Sie neh-
men auch alles gar zu genau, liebe Bianka;
wer wollte es im Leben genau nehmen? Sind
nicht Prieſter und Praͤlaten bey uns geweſen
und haben ſich mit uns gefreut? Auf ſie faͤllt
groͤßere Schuld, als auf uns ſelbſt, denn ſie
haben uns in unſerm Lebenswandel beſtaͤrkt.
Beichten Sie, liebſte Freundinn, und ſeyn Sie
dann außer Sorgen, gegen alles iſt Huͤlfe, nur
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/331>, abgerufen am 22.11.2024.
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