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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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aufgeräumt, nur an der hintern Wand lag ein
großer rother Mantel über den Boden und
über Stühlen ausgebreitet.

Balder war sehr gesprächig, und wir un-
terhielten uns von manchen Vorfällen aus der
Vergangenheit. Ich bat ihn endlich, mir zu
erzählen, durch welche Zufälle er sich plötzlich
so sehr verändert habe; sein Gesicht ward trau-
riger, indem er darüber zu reden anfing; ich
will es versuchen, Rosa, Ihnen seine eigenen
Worte niederzuschreiben.

Du wirst vielleicht, fing er an, meinen
seltsamen Brief aus den Apenninen erhalten
haben, denn daß ich dort gewohnt hatte, er-
fuhr ich nachher. Ich kann mich jenes Zustan-
des nur noch dunkel und mit Mühe erinnern.
Ich weiß, daß mich ein unaufhörlicher, wun-
derbarer Traum umgab. Mein Bewußtseyn lag
gleichsam fern ab in mir verborgen, die äußere
Natur schimmerte nur dunkel in mich hinein,
mein Auge starrte vorwärts und die Gegenstän-
de veränderten sich dem stieren, angestrengten
Blicke. Zu allen meinen Empfindungen und
Ideen führten gleichsam keine Tasten mehr, die
sie anschlagen konnten, sondern eine unbekannte

aufgeraͤumt, nur an der hintern Wand lag ein
großer rother Mantel uͤber den Boden und
uͤber Stuͤhlen ausgebreitet.

Balder war ſehr geſpraͤchig, und wir un-
terhielten uns von manchen Vorfaͤllen aus der
Vergangenheit. Ich bat ihn endlich, mir zu
erzaͤhlen, durch welche Zufaͤlle er ſich ploͤtzlich
ſo ſehr veraͤndert habe; ſein Geſicht ward trau-
riger, indem er daruͤber zu reden anfing; ich
will es verſuchen, Roſa, Ihnen ſeine eigenen
Worte niederzuſchreiben.

Du wirſt vielleicht, fing er an, meinen
ſeltſamen Brief aus den Apenninen erhalten
haben, denn daß ich dort gewohnt hatte, er-
fuhr ich nachher. Ich kann mich jenes Zuſtan-
des nur noch dunkel und mit Muͤhe erinnern.
Ich weiß, daß mich ein unaufhoͤrlicher, wun-
derbarer Traum umgab. Mein Bewußtſeyn lag
gleichſam fern ab in mir verborgen, die aͤußere
Natur ſchimmerte nur dunkel in mich hinein,
mein Auge ſtarrte vorwaͤrts und die Gegenſtaͤn-
de veraͤnderten ſich dem ſtieren, angeſtrengten
Blicke. Zu allen meinen Empfindungen und
Ideen fuͤhrten gleichſam keine Taſten mehr, die
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[348/0355] aufgeraͤumt, nur an der hintern Wand lag ein großer rother Mantel uͤber den Boden und uͤber Stuͤhlen ausgebreitet. Balder war ſehr geſpraͤchig, und wir un- terhielten uns von manchen Vorfaͤllen aus der Vergangenheit. Ich bat ihn endlich, mir zu erzaͤhlen, durch welche Zufaͤlle er ſich ploͤtzlich ſo ſehr veraͤndert habe; ſein Geſicht ward trau- riger, indem er daruͤber zu reden anfing; ich will es verſuchen, Roſa, Ihnen ſeine eigenen Worte niederzuſchreiben. Du wirſt vielleicht, fing er an, meinen ſeltſamen Brief aus den Apenninen erhalten haben, denn daß ich dort gewohnt hatte, er- fuhr ich nachher. Ich kann mich jenes Zuſtan- des nur noch dunkel und mit Muͤhe erinnern. Ich weiß, daß mich ein unaufhoͤrlicher, wun- derbarer Traum umgab. Mein Bewußtſeyn lag gleichſam fern ab in mir verborgen, die aͤußere Natur ſchimmerte nur dunkel in mich hinein, mein Auge ſtarrte vorwaͤrts und die Gegenſtaͤn- de veraͤnderten ſich dem ſtieren, angeſtrengten Blicke. Zu allen meinen Empfindungen und Ideen fuͤhrten gleichſam keine Taſten mehr, die ſie anſchlagen konnten, ſondern eine unbekannte

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/355>, abgerufen am 22.11.2024.