Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Hand fuhr über den Resonanzboden auf den ge-
spannten Saiten umher und gab nur dunkle, ver-
worrene und einsylbige Töne an. Wie in Berg-
werken eine Leuchte oft hin und wieder geht
und das Licht an den Quarzwänden und dem
nassen Gestein wunderbar zurückschimmert, so
erschien mir der Gang meiner Vorstellungen in
mir selber.

Plötzlich ergriff mich wieder, so wie in
meinen gesundern Tagen, das Gefühl einer hef-
tigen Unruhe, ich fand mich in mir selber un-
zufrieden. Das fernstehende prosaische Leben
kam wieder näher auf mich zu und eine unbe-
schreibliche Sehnsucht zog mich nach sich. Ich
kam zu mir selbst zurück und fand mich wie
sonst eingeengt und gepreßt, ich wünschte und
wußte nicht was: in der Ferne, in einer an-
dern Heimath schien alles zu liegen, und ich
verließ endlich den Ort, wo ich so lange ge-
wohnt hatte.

Andre Gegenden begrüßten mich wieder mit
denselben Empfindungen, die ich sonst gehabt
hatte, die Zirkel und das Getümmel des mensch-
lichen Lebens ergriffen mich von neuem, ich
legte meine seltsame Kleidung ab und beschloß

Hand fuhr uͤber den Reſonanzboden auf den ge-
ſpannten Saiten umher und gab nur dunkle, ver-
worrene und einſylbige Toͤne an. Wie in Berg-
werken eine Leuchte oft hin und wieder geht
und das Licht an den Quarzwaͤnden und dem
naſſen Geſtein wunderbar zuruͤckſchimmert, ſo
erſchien mir der Gang meiner Vorſtellungen in
mir ſelber.

Ploͤtzlich ergriff mich wieder, ſo wie in
meinen geſundern Tagen, das Gefuͤhl einer hef-
tigen Unruhe, ich fand mich in mir ſelber un-
zufrieden. Das fernſtehende proſaiſche Leben
kam wieder naͤher auf mich zu und eine unbe-
ſchreibliche Sehnſucht zog mich nach ſich. Ich
kam zu mir ſelbſt zuruͤck und fand mich wie
ſonſt eingeengt und gepreßt, ich wuͤnſchte und
wußte nicht was: in der Ferne, in einer an-
dern Heimath ſchien alles zu liegen, und ich
verließ endlich den Ort, wo ich ſo lange ge-
wohnt hatte.

Andre Gegenden begruͤßten mich wieder mit
denſelben Empfindungen, die ich ſonſt gehabt
hatte, die Zirkel und das Getuͤmmel des menſch-
lichen Lebens ergriffen mich von neuem, ich
legte meine ſeltſame Kleidung ab und beſchloß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0356" n="349"/>
Hand fuhr u&#x0364;ber den Re&#x017F;onanzboden auf den ge-<lb/>
&#x017F;pannten Saiten umher und gab nur dunkle, ver-<lb/>
worrene und ein&#x017F;ylbige To&#x0364;ne an. Wie in Berg-<lb/>
werken eine Leuchte oft hin und wieder geht<lb/>
und das Licht an den Quarzwa&#x0364;nden und dem<lb/>
na&#x017F;&#x017F;en Ge&#x017F;tein wunderbar zuru&#x0364;ck&#x017F;chimmert, &#x017F;o<lb/>
er&#x017F;chien mir der Gang meiner Vor&#x017F;tellungen in<lb/>
mir &#x017F;elber.</p><lb/>
          <p>Plo&#x0364;tzlich ergriff mich wieder, &#x017F;o wie in<lb/>
meinen ge&#x017F;undern Tagen, das Gefu&#x0364;hl einer hef-<lb/>
tigen Unruhe, ich fand mich in mir &#x017F;elber un-<lb/>
zufrieden. Das fern&#x017F;tehende pro&#x017F;ai&#x017F;che Leben<lb/>
kam wieder na&#x0364;her auf mich zu und eine unbe-<lb/>
&#x017F;chreibliche Sehn&#x017F;ucht zog mich nach &#x017F;ich. Ich<lb/>
kam zu mir &#x017F;elb&#x017F;t zuru&#x0364;ck und fand mich wie<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t eingeengt und gepreßt, ich wu&#x0364;n&#x017F;chte und<lb/>
wußte nicht was: in der Ferne, in einer an-<lb/>
dern Heimath &#x017F;chien alles zu liegen, und ich<lb/>
verließ endlich den Ort, wo ich &#x017F;o lange ge-<lb/>
wohnt hatte.</p><lb/>
          <p>Andre Gegenden begru&#x0364;ßten mich wieder mit<lb/>
den&#x017F;elben Empfindungen, die ich &#x017F;on&#x017F;t gehabt<lb/>
hatte, die Zirkel und das Getu&#x0364;mmel des men&#x017F;ch-<lb/>
lichen Lebens ergriffen mich von neuem, ich<lb/>
legte meine &#x017F;elt&#x017F;ame Kleidung ab und be&#x017F;chloß<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[349/0356] Hand fuhr uͤber den Reſonanzboden auf den ge- ſpannten Saiten umher und gab nur dunkle, ver- worrene und einſylbige Toͤne an. Wie in Berg- werken eine Leuchte oft hin und wieder geht und das Licht an den Quarzwaͤnden und dem naſſen Geſtein wunderbar zuruͤckſchimmert, ſo erſchien mir der Gang meiner Vorſtellungen in mir ſelber. Ploͤtzlich ergriff mich wieder, ſo wie in meinen geſundern Tagen, das Gefuͤhl einer hef- tigen Unruhe, ich fand mich in mir ſelber un- zufrieden. Das fernſtehende proſaiſche Leben kam wieder naͤher auf mich zu und eine unbe- ſchreibliche Sehnſucht zog mich nach ſich. Ich kam zu mir ſelbſt zuruͤck und fand mich wie ſonſt eingeengt und gepreßt, ich wuͤnſchte und wußte nicht was: in der Ferne, in einer an- dern Heimath ſchien alles zu liegen, und ich verließ endlich den Ort, wo ich ſo lange ge- wohnt hatte. Andre Gegenden begruͤßten mich wieder mit denſelben Empfindungen, die ich ſonſt gehabt hatte, die Zirkel und das Getuͤmmel des menſch- lichen Lebens ergriffen mich von neuem, ich legte meine ſeltſame Kleidung ab und beſchloß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/356
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/356>, abgerufen am 22.11.2024.