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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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nach Deutschland, nach meiner Heimath, zu-
rückzureisen. Es war als wenn sich die ver-
schlungenen Gegenstände mehr von einander ab
sonderten, was zusammen gehörte, flog zusam-
men, und ich stand in der Mitte der Natur.
Die Posthörner nahmen nun wieder über Berge
und Seen nach fernen Gegenden meine Seele
mit sich, der Trieb zur Thätigkeit erwachte
wieder und das dumpfe, unverständliche Ge-
räusch, das mich bisher innerlich betäubt hatte,
verlor sich immer ferner und ferner.

Ich hatte noch einiges Geld übrig be-
halten und mit diesem kam ich in Genua
an. -- O Freund, ich wußte nicht, daß ich
hier meine frühste Jugend wiederfinden sollte,
ein neues Leben, um es nachher noch einmal
zu verlieren. -- Ich lernte hier ein Mädchen
kennen, -- o Lovell, Du lächelst und verachtest
mich, -- nein, ich kann Dir nicht sagen, wer
sie war, Du kannst es nicht begreifen. Ich
hatte schon einst vor langer Zeit meine Hen-
riette begraben, ich hatte viel auf ihrem Grabe
geweint und hier fand ich sie nun ganz und gar
wieder und sie hieß Leonore. -- Ach, wie

nach Deutſchland, nach meiner Heimath, zu-
ruͤckzureiſen. Es war als wenn ſich die ver-
ſchlungenen Gegenſtaͤnde mehr von einander ab
ſonderten, was zuſammen gehoͤrte, flog zuſam-
men, und ich ſtand in der Mitte der Natur.
Die Poſthoͤrner nahmen nun wieder uͤber Berge
und Seen nach fernen Gegenden meine Seele
mit ſich, der Trieb zur Thaͤtigkeit erwachte
wieder und das dumpfe, unverſtaͤndliche Ge-
raͤuſch, das mich bisher innerlich betaͤubt hatte,
verlor ſich immer ferner und ferner.

Ich hatte noch einiges Geld uͤbrig be-
halten und mit dieſem kam ich in Genua
an. — O Freund, ich wußte nicht, daß ich
hier meine fruͤhſte Jugend wiederfinden ſollte,
ein neues Leben, um es nachher noch einmal
zu verlieren. — Ich lernte hier ein Maͤdchen
kennen, — o Lovell, Du laͤchelſt und verachteſt
mich, — nein, ich kann Dir nicht ſagen, wer
ſie war, Du kannſt es nicht begreifen. Ich
hatte ſchon einſt vor langer Zeit meine Hen-
riette begraben, ich hatte viel auf ihrem Grabe
geweint und hier fand ich ſie nun ganz und gar
wieder und ſie hieß Leonore. — Ach, wie

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[350/0357] nach Deutſchland, nach meiner Heimath, zu- ruͤckzureiſen. Es war als wenn ſich die ver- ſchlungenen Gegenſtaͤnde mehr von einander ab ſonderten, was zuſammen gehoͤrte, flog zuſam- men, und ich ſtand in der Mitte der Natur. Die Poſthoͤrner nahmen nun wieder uͤber Berge und Seen nach fernen Gegenden meine Seele mit ſich, der Trieb zur Thaͤtigkeit erwachte wieder und das dumpfe, unverſtaͤndliche Ge- raͤuſch, das mich bisher innerlich betaͤubt hatte, verlor ſich immer ferner und ferner. Ich hatte noch einiges Geld uͤbrig be- halten und mit dieſem kam ich in Genua an. — O Freund, ich wußte nicht, daß ich hier meine fruͤhſte Jugend wiederfinden ſollte, ein neues Leben, um es nachher noch einmal zu verlieren. — Ich lernte hier ein Maͤdchen kennen, — o Lovell, Du laͤchelſt und verachteſt mich, — nein, ich kann Dir nicht ſagen, wer ſie war, Du kannſt es nicht begreifen. Ich hatte ſchon einſt vor langer Zeit meine Hen- riette begraben, ich hatte viel auf ihrem Grabe geweint und hier fand ich ſie nun ganz und gar wieder und ſie hieß Leonore. — Ach, wie

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/357>, abgerufen am 22.11.2024.