Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

die Ringe laut erklangen: seine Wärter schlu-
gen jetzt ohne Erbarmen auf ihn zu, aber er
schien keine Empfindung davon zu haben. Un-
ter der Anstrengung aller Kräfte schien er grö-
ßer zu werden, sein Gesicht war rund und glü-
hend wie der Vollmond: ich konnte den Anblick
nicht länger aushalten, ich verließ schnell das
Zimmer. Noch unten, noch auf der Straße
hört' ich ihn schreyen; Thränen kamen in meine
Augen.

So hab' ich ihn wieder gefunden; doch be-
ruhigen Sie sich, Rosa, er ist schon nach zweyen
Tagen in dieser Raserey gestorben. Alles, was
er mir erzählt hatte, ist wahr, gleich nach dem
Tode seiner Frau ist er wieder rasend geworden,
in Zwischenzeiten ganz kalt und vernünftig.
Die Verwandten seiner Frau haben für seinen
Unterhalt gesorgt.

Scheint diesem Unglücklichen der Wahnsinn
nicht von der Geburt an schon mitgegeben zu
seyn? Zuerst ging er langsam alle Grade des-
selben durch, bis er durch eine neue Liebe
schneller und rascher zum letzten Extreme hin-
getrieben ward. -- In einigen Tagen sehn Sie
mich in Rom. --



Z 2

die Ringe laut erklangen: ſeine Waͤrter ſchlu-
gen jetzt ohne Erbarmen auf ihn zu, aber er
ſchien keine Empfindung davon zu haben. Un-
ter der Anſtrengung aller Kraͤfte ſchien er groͤ-
ßer zu werden, ſein Geſicht war rund und gluͤ-
hend wie der Vollmond: ich konnte den Anblick
nicht laͤnger aushalten, ich verließ ſchnell das
Zimmer. Noch unten, noch auf der Straße
hoͤrt' ich ihn ſchreyen; Thraͤnen kamen in meine
Augen.

So hab' ich ihn wieder gefunden; doch be-
ruhigen Sie ſich, Roſa, er iſt ſchon nach zweyen
Tagen in dieſer Raſerey geſtorben. Alles, was
er mir erzaͤhlt hatte, iſt wahr, gleich nach dem
Tode ſeiner Frau iſt er wieder raſend geworden,
in Zwiſchenzeiten ganz kalt und vernuͤnftig.
Die Verwandten ſeiner Frau haben fuͤr ſeinen
Unterhalt geſorgt.

Scheint dieſem Ungluͤcklichen der Wahnſinn
nicht von der Geburt an ſchon mitgegeben zu
ſeyn? Zuerſt ging er langſam alle Grade deſ-
ſelben durch, bis er durch eine neue Liebe
ſchneller und raſcher zum letzten Extreme hin-
getrieben ward. — In einigen Tagen ſehn Sie
mich in Rom. —



Z 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0362" n="355"/>
die Ringe laut erklangen: &#x017F;eine Wa&#x0364;rter &#x017F;chlu-<lb/>
gen jetzt ohne Erbarmen auf ihn zu, aber er<lb/>
&#x017F;chien keine Empfindung davon zu haben. Un-<lb/>
ter der An&#x017F;trengung aller Kra&#x0364;fte &#x017F;chien er gro&#x0364;-<lb/>
ßer zu werden, &#x017F;ein Ge&#x017F;icht war rund und glu&#x0364;-<lb/>
hend wie der Vollmond: ich konnte den Anblick<lb/>
nicht la&#x0364;nger aushalten, ich verließ &#x017F;chnell das<lb/>
Zimmer. Noch unten, noch auf der Straße<lb/>
ho&#x0364;rt' ich ihn &#x017F;chreyen; Thra&#x0364;nen kamen in meine<lb/>
Augen.</p><lb/>
          <p>So hab' ich ihn wieder gefunden; doch be-<lb/>
ruhigen Sie &#x017F;ich, Ro&#x017F;a, er i&#x017F;t &#x017F;chon nach zweyen<lb/>
Tagen in die&#x017F;er Ra&#x017F;erey ge&#x017F;torben. Alles, was<lb/>
er mir erza&#x0364;hlt hatte, i&#x017F;t wahr, gleich nach dem<lb/>
Tode &#x017F;einer Frau i&#x017F;t er wieder ra&#x017F;end geworden,<lb/>
in Zwi&#x017F;chenzeiten ganz kalt und vernu&#x0364;nftig.<lb/>
Die Verwandten &#x017F;einer Frau haben fu&#x0364;r &#x017F;einen<lb/>
Unterhalt ge&#x017F;orgt.</p><lb/>
          <p>Scheint die&#x017F;em Unglu&#x0364;cklichen der Wahn&#x017F;inn<lb/>
nicht von der Geburt an &#x017F;chon mitgegeben zu<lb/>
&#x017F;eyn? Zuer&#x017F;t ging er lang&#x017F;am alle Grade de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elben durch, bis er durch eine neue Liebe<lb/>
&#x017F;chneller und ra&#x017F;cher zum letzten Extreme hin-<lb/>
getrieben ward. &#x2014; In einigen Tagen &#x017F;ehn Sie<lb/>
mich in Rom. &#x2014;</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <fw place="bottom" type="sig">Z 2</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[355/0362] die Ringe laut erklangen: ſeine Waͤrter ſchlu- gen jetzt ohne Erbarmen auf ihn zu, aber er ſchien keine Empfindung davon zu haben. Un- ter der Anſtrengung aller Kraͤfte ſchien er groͤ- ßer zu werden, ſein Geſicht war rund und gluͤ- hend wie der Vollmond: ich konnte den Anblick nicht laͤnger aushalten, ich verließ ſchnell das Zimmer. Noch unten, noch auf der Straße hoͤrt' ich ihn ſchreyen; Thraͤnen kamen in meine Augen. So hab' ich ihn wieder gefunden; doch be- ruhigen Sie ſich, Roſa, er iſt ſchon nach zweyen Tagen in dieſer Raſerey geſtorben. Alles, was er mir erzaͤhlt hatte, iſt wahr, gleich nach dem Tode ſeiner Frau iſt er wieder raſend geworden, in Zwiſchenzeiten ganz kalt und vernuͤnftig. Die Verwandten ſeiner Frau haben fuͤr ſeinen Unterhalt geſorgt. Scheint dieſem Ungluͤcklichen der Wahnſinn nicht von der Geburt an ſchon mitgegeben zu ſeyn? Zuerſt ging er langſam alle Grade deſ- ſelben durch, bis er durch eine neue Liebe ſchneller und raſcher zum letzten Extreme hin- getrieben ward. — In einigen Tagen ſehn Sie mich in Rom. — Z 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/362
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/362>, abgerufen am 22.11.2024.