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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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sprach nur selten und sehr furchtsam mit, wenn
die übrigen ihre feinen Ideen auf eine glän-
zende Art entwickelten. Wenn ich allein bey
ihr war, fühlte ich mich aber auf eine unbe-
greifliche Art zu ihr hingezogen, im einfältigen,
fast kindischen Gespräche wurde mir dann der
Verstand aller übrigen weit zurückgerückt, sie
interessirten mich dann nicht, ich konnte sie
selbst in der Erinnerung nicht achten. Ich
wunderte mich oft über diese seltsamen Wider-
sprüche, ich überlegte oft in der Einsamkeit,
wodurch ich so wunderbar gestimmt werden
könne, daß ich immer die entgegengesetzte Seite
fände und sie jedesmal für die wahre hielte.
In kurzer Zeit ward dieser Widerspruch in mir
gehoben, denn ich gab mich gegen meine Ueber-
zeugung Antonien ganz hin, die Gesellschaft
aller übrigen Menschen war mir schaal und er-
müdend, ich lebte nur für sie, ich dachte nur
sie, ich träumte nur von ihr. -- Selbst jetzt
in der Erinnerung könnt' ich mir, ein achtzig-
jähriger Greis, jene schöne Zeit zurückwünschen.

Vielleicht haben nur wenige Menschen so
geliebt, wie ich, denn noch in keinem Dichter
habe ich meine damaligen Empfindungen ganz

ſprach nur ſelten und ſehr furchtſam mit, wenn
die uͤbrigen ihre feinen Ideen auf eine glaͤn-
zende Art entwickelten. Wenn ich allein bey
ihr war, fuͤhlte ich mich aber auf eine unbe-
greifliche Art zu ihr hingezogen, im einfaͤltigen,
faſt kindiſchen Geſpraͤche wurde mir dann der
Verſtand aller uͤbrigen weit zuruͤckgeruͤckt, ſie
intereſſirten mich dann nicht, ich konnte ſie
ſelbſt in der Erinnerung nicht achten. Ich
wunderte mich oft uͤber dieſe ſeltſamen Wider-
ſpruͤche, ich uͤberlegte oft in der Einſamkeit,
wodurch ich ſo wunderbar geſtimmt werden
koͤnne, daß ich immer die entgegengeſetzte Seite
faͤnde und ſie jedesmal fuͤr die wahre hielte.
In kurzer Zeit ward dieſer Widerſpruch in mir
gehoben, denn ich gab mich gegen meine Ueber-
zeugung Antonien ganz hin, die Geſellſchaft
aller uͤbrigen Menſchen war mir ſchaal und er-
muͤdend, ich lebte nur fuͤr ſie, ich dachte nur
ſie, ich traͤumte nur von ihr. — Selbſt jetzt
in der Erinnerung koͤnnt' ich mir, ein achtzig-
jaͤhriger Greis, jene ſchoͤne Zeit zuruͤckwuͤnſchen.

Vielleicht haben nur wenige Menſchen ſo
geliebt, wie ich, denn noch in keinem Dichter
habe ich meine damaligen Empfindungen ganz

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[408/0415] ſprach nur ſelten und ſehr furchtſam mit, wenn die uͤbrigen ihre feinen Ideen auf eine glaͤn- zende Art entwickelten. Wenn ich allein bey ihr war, fuͤhlte ich mich aber auf eine unbe- greifliche Art zu ihr hingezogen, im einfaͤltigen, faſt kindiſchen Geſpraͤche wurde mir dann der Verſtand aller uͤbrigen weit zuruͤckgeruͤckt, ſie intereſſirten mich dann nicht, ich konnte ſie ſelbſt in der Erinnerung nicht achten. Ich wunderte mich oft uͤber dieſe ſeltſamen Wider- ſpruͤche, ich uͤberlegte oft in der Einſamkeit, wodurch ich ſo wunderbar geſtimmt werden koͤnne, daß ich immer die entgegengeſetzte Seite faͤnde und ſie jedesmal fuͤr die wahre hielte. In kurzer Zeit ward dieſer Widerſpruch in mir gehoben, denn ich gab mich gegen meine Ueber- zeugung Antonien ganz hin, die Geſellſchaft aller uͤbrigen Menſchen war mir ſchaal und er- muͤdend, ich lebte nur fuͤr ſie, ich dachte nur ſie, ich traͤumte nur von ihr. — Selbſt jetzt in der Erinnerung koͤnnt' ich mir, ein achtzig- jaͤhriger Greis, jene ſchoͤne Zeit zuruͤckwuͤnſchen. Vielleicht haben nur wenige Menſchen ſo geliebt, wie ich, denn noch in keinem Dichter habe ich meine damaligen Empfindungen ganz

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/415>, abgerufen am 22.11.2024.