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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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wollte, ich begriff nicht, was ich dachte, alles
war im Widerspruche mit sich selber, die Na-
tur umher ward wieder stumm, die dürre Wirk-
lichkeit kroch wieder langsam und träge aus
ihrem Winkel hervor, in den sie sich versteckt
hatte: es war, als würde das Instrument mit
allen seinen klingenden Saiten in tausend
Stücke geschlagen.

In einer recht vertraulichen Stunde ge-
stand sie mir nun selbst, daß sie mich nicht lie-
ben könne, weil sie schon an einen reichen jun-
gen Menschen versprochen sey, dem sie ihr gan-
zes Herz hingegeben habe.

Alles in mir löste sich auf. Ein tauber
Schmerz saß in meinem Herzen und dehnte sich
immer weiter und weiter aus, als wenn er das
Herz und die Brust zersprengen wollte, und
doch kam ich mir zugleich albern und abge-
schmackt vor. Ich verachtete meine Thränen
und Seufzer, ich hielt alles in mir für Affek-
tation, alle lebendige Poesie flog weit von mir
weg, alle Empfindungen zogen vorüber wie et-
was Fremdes, das mir nicht zugehörte. --

Der Liebhaber kam, um sie abzuholen.
Sie reiste ab, und dachte nicht daran, in wel-

wollte, ich begriff nicht, was ich dachte, alles
war im Widerſpruche mit ſich ſelber, die Na-
tur umher ward wieder ſtumm, die duͤrre Wirk-
lichkeit kroch wieder langſam und traͤge aus
ihrem Winkel hervor, in den ſie ſich verſteckt
hatte: es war, als wuͤrde das Inſtrument mit
allen ſeinen klingenden Saiten in tauſend
Stuͤcke geſchlagen.

In einer recht vertraulichen Stunde ge-
ſtand ſie mir nun ſelbſt, daß ſie mich nicht lie-
ben koͤnne, weil ſie ſchon an einen reichen jun-
gen Menſchen verſprochen ſey, dem ſie ihr gan-
zes Herz hingegeben habe.

Alles in mir loͤſte ſich auf. Ein tauber
Schmerz ſaß in meinem Herzen und dehnte ſich
immer weiter und weiter aus, als wenn er das
Herz und die Bruſt zerſprengen wollte, und
doch kam ich mir zugleich albern und abge-
ſchmackt vor. Ich verachtete meine Thraͤnen
und Seufzer, ich hielt alles in mir fuͤr Affek-
tation, alle lebendige Poeſie flog weit von mir
weg, alle Empfindungen zogen voruͤber wie et-
was Fremdes, das mir nicht zugehoͤrte. —

Der Liebhaber kam, um ſie abzuholen.
Sie reiſte ab, und dachte nicht daran, in wel-

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[411/0418] wollte, ich begriff nicht, was ich dachte, alles war im Widerſpruche mit ſich ſelber, die Na- tur umher ward wieder ſtumm, die duͤrre Wirk- lichkeit kroch wieder langſam und traͤge aus ihrem Winkel hervor, in den ſie ſich verſteckt hatte: es war, als wuͤrde das Inſtrument mit allen ſeinen klingenden Saiten in tauſend Stuͤcke geſchlagen. In einer recht vertraulichen Stunde ge- ſtand ſie mir nun ſelbſt, daß ſie mich nicht lie- ben koͤnne, weil ſie ſchon an einen reichen jun- gen Menſchen verſprochen ſey, dem ſie ihr gan- zes Herz hingegeben habe. Alles in mir loͤſte ſich auf. Ein tauber Schmerz ſaß in meinem Herzen und dehnte ſich immer weiter und weiter aus, als wenn er das Herz und die Bruſt zerſprengen wollte, und doch kam ich mir zugleich albern und abge- ſchmackt vor. Ich verachtete meine Thraͤnen und Seufzer, ich hielt alles in mir fuͤr Affek- tation, alle lebendige Poeſie flog weit von mir weg, alle Empfindungen zogen voruͤber wie et- was Fremdes, das mir nicht zugehoͤrte. — Der Liebhaber kam, um ſie abzuholen. Sie reiſte ab, und dachte nicht daran, in wel-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/418>, abgerufen am 22.11.2024.