ziemlich mit einander fertig werden, daß es dem einen nicht sauer wird, den andern zu überlisten, und daß dieser sich wieder nicht sehr widerspenstig erzeigt, überlistet zu werden.
Die Tochter schien mir immer abgeneigter zu werden, und doch war sie bey Tage und in der Nacht mein einziger Gedanke. Ich gab mein ganzes voriges Leben verloren, und be- schloß, durch ihren Besitz gleichsam von neuem geboren zu werden, mich und mein Glück in jeder Stunde recht bedächtlich zu genießen und mit mir selber ernsthafter umzugehen. Es schien mir jetzt, als habe ich alle meine Jahre in einem wilden, drückenden Rausche verschleu- dert, ich erschrak vor dem Gedanken, leer durch das Leben zu gehn und dann so hinzusterben. Und doch überfiel mich oft die Ueberzeugung, daß es so kommen würde und müsse, denn ich fühlte es in allen Stunden innig, daß sich Mariens Seele gänzlich von mir zurückneigte, wie eine Blume von dem kalten Schatten. Sie ward in einer Stunde offenherzig und ge- stand mir ihr Gefühl, wie alles sie von mir zurückstoße, mein Gesicht, mein ganzes Wesen, ein Etwas, das sie nicht beschreiben könne,
ziemlich mit einander fertig werden, daß es dem einen nicht ſauer wird, den andern zu uͤberliſten, und daß dieſer ſich wieder nicht ſehr widerſpenſtig erzeigt, uͤberliſtet zu werden.
Die Tochter ſchien mir immer abgeneigter zu werden, und doch war ſie bey Tage und in der Nacht mein einziger Gedanke. Ich gab mein ganzes voriges Leben verloren, und be- ſchloß, durch ihren Beſitz gleichſam von neuem geboren zu werden, mich und mein Gluͤck in jeder Stunde recht bedaͤchtlich zu genießen und mit mir ſelber ernſthafter umzugehen. Es ſchien mir jetzt, als habe ich alle meine Jahre in einem wilden, druͤckenden Rauſche verſchleu- dert, ich erſchrak vor dem Gedanken, leer durch das Leben zu gehn und dann ſo hinzuſterben. Und doch uͤberfiel mich oft die Ueberzeugung, daß es ſo kommen wuͤrde und muͤſſe, denn ich fuͤhlte es in allen Stunden innig, daß ſich Mariens Seele gaͤnzlich von mir zuruͤckneigte, wie eine Blume von dem kalten Schatten. Sie ward in einer Stunde offenherzig und ge- ſtand mir ihr Gefuͤhl, wie alles ſie von mir zuruͤckſtoße, mein Geſicht, mein ganzes Weſen, ein Etwas, das ſie nicht beſchreiben koͤnne,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0433"n="426"/>
ziemlich mit einander fertig werden, daß es<lb/>
dem einen nicht ſauer wird, den andern zu<lb/>
uͤberliſten, und daß dieſer ſich wieder nicht<lb/>ſehr widerſpenſtig erzeigt, uͤberliſtet zu werden.</p><lb/><p>Die Tochter ſchien mir immer abgeneigter<lb/>
zu werden, und doch war ſie bey Tage und in<lb/>
der Nacht mein einziger Gedanke. Ich gab<lb/>
mein ganzes voriges Leben verloren, und be-<lb/>ſchloß, durch ihren Beſitz gleichſam von neuem<lb/>
geboren zu werden, mich und mein Gluͤck in<lb/>
jeder Stunde recht bedaͤchtlich zu genießen und<lb/>
mit mir ſelber ernſthafter umzugehen. Es ſchien<lb/>
mir jetzt, als habe ich alle meine Jahre in<lb/>
einem wilden, druͤckenden Rauſche verſchleu-<lb/>
dert, ich erſchrak vor dem Gedanken, leer durch<lb/>
das Leben zu gehn und dann ſo hinzuſterben.<lb/>
Und doch uͤberfiel mich oft die Ueberzeugung,<lb/>
daß es ſo kommen wuͤrde und muͤſſe, denn ich<lb/>
fuͤhlte es in allen Stunden innig, daß ſich<lb/>
Mariens Seele gaͤnzlich von mir zuruͤckneigte,<lb/>
wie eine Blume von dem kalten Schatten.<lb/>
Sie ward in einer Stunde offenherzig und ge-<lb/>ſtand mir ihr Gefuͤhl, wie alles ſie von mir<lb/>
zuruͤckſtoße, mein Geſicht, mein ganzes Weſen,<lb/>
ein Etwas, das ſie nicht beſchreiben koͤnne,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[426/0433]
ziemlich mit einander fertig werden, daß es
dem einen nicht ſauer wird, den andern zu
uͤberliſten, und daß dieſer ſich wieder nicht
ſehr widerſpenſtig erzeigt, uͤberliſtet zu werden.
Die Tochter ſchien mir immer abgeneigter
zu werden, und doch war ſie bey Tage und in
der Nacht mein einziger Gedanke. Ich gab
mein ganzes voriges Leben verloren, und be-
ſchloß, durch ihren Beſitz gleichſam von neuem
geboren zu werden, mich und mein Gluͤck in
jeder Stunde recht bedaͤchtlich zu genießen und
mit mir ſelber ernſthafter umzugehen. Es ſchien
mir jetzt, als habe ich alle meine Jahre in
einem wilden, druͤckenden Rauſche verſchleu-
dert, ich erſchrak vor dem Gedanken, leer durch
das Leben zu gehn und dann ſo hinzuſterben.
Und doch uͤberfiel mich oft die Ueberzeugung,
daß es ſo kommen wuͤrde und muͤſſe, denn ich
fuͤhlte es in allen Stunden innig, daß ſich
Mariens Seele gaͤnzlich von mir zuruͤckneigte,
wie eine Blume von dem kalten Schatten.
Sie ward in einer Stunde offenherzig und ge-
ſtand mir ihr Gefuͤhl, wie alles ſie von mir
zuruͤckſtoße, mein Geſicht, mein ganzes Weſen,
ein Etwas, das ſie nicht beſchreiben koͤnne,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/433>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.