meiner Brust blieb immer offen. Ich verstand jetzt, was man unter dem Worte Haß begreife, mir war, als wenn mein Leben nun erst einen Zweck bekommen habe, und daß dieser in nichts anderm bestehe, als Lovell unablässig zu verfol- gen und zu peinigen: mein dunkles ungewisses Daseyn schloß sich hinter mir zu, und eine gewissere und ebnere Bahn lag vor mir. Ich empfand, daß dieser Haß die Hauptempfindung in meinem Leben seyn würde; nach diesem Mit- telpunkte zog sich alles. Ich knirschte mit den Zähnen und verachtete mich selbst, daß ich nichts weiter thun konnte, aber ich schwur es dem bösen Geiste in mir, mich zu rächen, so- bald sich nur eine Gelegenheit zeigen würde.
Elend.
Es war jetzt die Zeit gekommen, daß ich die Menschen wirklich sollte kennen lernen. Der Mensch ist nichts, wenn ihm seine Nebenge- schöpfe fremd bleiben, und indem er sie kennen lernt, verliert er alles, was ihm Werth gab: er ist ein klägliches und wieder lächerliches Räthsel.
meiner Bruſt blieb immer offen. Ich verſtand jetzt, was man unter dem Worte Haß begreife, mir war, als wenn mein Leben nun erſt einen Zweck bekommen habe, und daß dieſer in nichts anderm beſtehe, als Lovell unablaͤſſig zu verfol- gen und zu peinigen: mein dunkles ungewiſſes Daſeyn ſchloß ſich hinter mir zu, und eine gewiſſere und ebnere Bahn lag vor mir. Ich empfand, daß dieſer Haß die Hauptempfindung in meinem Leben ſeyn wuͤrde; nach dieſem Mit- telpunkte zog ſich alles. Ich knirſchte mit den Zaͤhnen und verachtete mich ſelbſt, daß ich nichts weiter thun konnte, aber ich ſchwur es dem boͤſen Geiſte in mir, mich zu raͤchen, ſo- bald ſich nur eine Gelegenheit zeigen wuͤrde.
Elend.
Es war jetzt die Zeit gekommen, daß ich die Menſchen wirklich ſollte kennen lernen. Der Menſch iſt nichts, wenn ihm ſeine Nebenge- ſchoͤpfe fremd bleiben, und indem er ſie kennen lernt, verliert er alles, was ihm Werth gab: er iſt ein klaͤgliches und wieder laͤcherliches Raͤthſel.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0436"n="429"/>
meiner Bruſt blieb immer offen. Ich verſtand<lb/>
jetzt, was man unter dem Worte <hirendition="#g">Haß</hi> begreife,<lb/>
mir war, als wenn mein Leben nun erſt einen<lb/>
Zweck bekommen habe, und daß dieſer in nichts<lb/>
anderm beſtehe, als Lovell unablaͤſſig zu verfol-<lb/>
gen und zu peinigen: mein dunkles ungewiſſes<lb/>
Daſeyn ſchloß ſich hinter mir zu, und eine<lb/>
gewiſſere und ebnere Bahn lag vor mir. Ich<lb/>
empfand, daß dieſer Haß die Hauptempfindung<lb/>
in meinem Leben ſeyn wuͤrde; nach dieſem Mit-<lb/>
telpunkte zog ſich alles. Ich knirſchte mit den<lb/>
Zaͤhnen und verachtete mich ſelbſt, daß ich<lb/>
nichts weiter thun konnte, aber ich ſchwur es<lb/>
dem boͤſen Geiſte in mir, mich zu raͤchen, ſo-<lb/>
bald ſich nur eine Gelegenheit zeigen wuͤrde.</p></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#g">Elend</hi>.</head><lb/><p>Es war jetzt die Zeit gekommen, daß ich<lb/>
die Menſchen wirklich ſollte kennen lernen. Der<lb/>
Menſch iſt nichts, wenn ihm ſeine Nebenge-<lb/>ſchoͤpfe fremd bleiben, und indem er ſie kennen<lb/>
lernt, verliert er alles, was ihm Werth gab:<lb/>
er iſt ein klaͤgliches und wieder laͤcherliches<lb/>
Raͤthſel.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[429/0436]
meiner Bruſt blieb immer offen. Ich verſtand
jetzt, was man unter dem Worte Haß begreife,
mir war, als wenn mein Leben nun erſt einen
Zweck bekommen habe, und daß dieſer in nichts
anderm beſtehe, als Lovell unablaͤſſig zu verfol-
gen und zu peinigen: mein dunkles ungewiſſes
Daſeyn ſchloß ſich hinter mir zu, und eine
gewiſſere und ebnere Bahn lag vor mir. Ich
empfand, daß dieſer Haß die Hauptempfindung
in meinem Leben ſeyn wuͤrde; nach dieſem Mit-
telpunkte zog ſich alles. Ich knirſchte mit den
Zaͤhnen und verachtete mich ſelbſt, daß ich
nichts weiter thun konnte, aber ich ſchwur es
dem boͤſen Geiſte in mir, mich zu raͤchen, ſo-
bald ſich nur eine Gelegenheit zeigen wuͤrde.
Elend.
Es war jetzt die Zeit gekommen, daß ich
die Menſchen wirklich ſollte kennen lernen. Der
Menſch iſt nichts, wenn ihm ſeine Nebenge-
ſchoͤpfe fremd bleiben, und indem er ſie kennen
lernt, verliert er alles, was ihm Werth gab:
er iſt ein klaͤgliches und wieder laͤcherliches
Raͤthſel.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/436>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.