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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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Alle Menschen entfernten sich nun von mir,
ich war von allen Gesellschaften ausgeschlossen,
ich suchte Hülfe oder nur Mitleid, aber ich
ward kalt und hönisch zurückgewiesen. Man
hatte mich gesucht und an sich gezogen, und
jetzt verachtete mich jeder Dummkopf, ohne
daß er sich einen auch nur halbklugen Grund
anzugeben wußte. Ich ärgerte mich innig über
diese Menschen, die mich vorher ohne alle Ur-
sache geschätzt hatten, und mich nun so plötzlich
fallen ließen, und sich dabey so hoch über mir
erhaben dünkten. Ich war gebrandmarkt, und
jedermann vermied mich als einen Angesteckten,
sie hatten sonst einmal etwas von Tugend und
Rechtschaffenheit gehört, und nun meinten sie,
die Leute könnten wohl gar denken, sie hielten
nicht viel von diesen hohen Dingen, wenn sie
sich mit mir abgäben. Es waren Menschen
darunter, die nicht ihre einfältigsten Gedanken
mit der Sprache von sich zu geben wußten.

Die weite Welt lag jetzt vor mir, aber
ich begriff nicht, wie ich darinn leben wollte.
Mein ganzes Vermögen war verloren, ich hatte
keine Freunde und keine Aussichten, keinen
Muth, mir selber zu vertrauen, um das Ver-

Alle Menſchen entfernten ſich nun von mir,
ich war von allen Geſellſchaften ausgeſchloſſen,
ich ſuchte Huͤlfe oder nur Mitleid, aber ich
ward kalt und hoͤniſch zuruͤckgewieſen. Man
hatte mich geſucht und an ſich gezogen, und
jetzt verachtete mich jeder Dummkopf, ohne
daß er ſich einen auch nur halbklugen Grund
anzugeben wußte. Ich aͤrgerte mich innig uͤber
dieſe Menſchen, die mich vorher ohne alle Ur-
ſache geſchaͤtzt hatten, und mich nun ſo ploͤtzlich
fallen ließen, und ſich dabey ſo hoch uͤber mir
erhaben duͤnkten. Ich war gebrandmarkt, und
jedermann vermied mich als einen Angeſteckten,
ſie hatten ſonſt einmal etwas von Tugend und
Rechtſchaffenheit gehoͤrt, und nun meinten ſie,
die Leute koͤnnten wohl gar denken, ſie hielten
nicht viel von dieſen hohen Dingen, wenn ſie
ſich mit mir abgaͤben. Es waren Menſchen
darunter, die nicht ihre einfaͤltigſten Gedanken
mit der Sprache von ſich zu geben wußten.

Die weite Welt lag jetzt vor mir, aber
ich begriff nicht, wie ich darinn leben wollte.
Mein ganzes Vermoͤgen war verloren, ich hatte
keine Freunde und keine Ausſichten, keinen
Muth, mir ſelber zu vertrauen, um das Ver-

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[430/0437] Alle Menſchen entfernten ſich nun von mir, ich war von allen Geſellſchaften ausgeſchloſſen, ich ſuchte Huͤlfe oder nur Mitleid, aber ich ward kalt und hoͤniſch zuruͤckgewieſen. Man hatte mich geſucht und an ſich gezogen, und jetzt verachtete mich jeder Dummkopf, ohne daß er ſich einen auch nur halbklugen Grund anzugeben wußte. Ich aͤrgerte mich innig uͤber dieſe Menſchen, die mich vorher ohne alle Ur- ſache geſchaͤtzt hatten, und mich nun ſo ploͤtzlich fallen ließen, und ſich dabey ſo hoch uͤber mir erhaben duͤnkten. Ich war gebrandmarkt, und jedermann vermied mich als einen Angeſteckten, ſie hatten ſonſt einmal etwas von Tugend und Rechtſchaffenheit gehoͤrt, und nun meinten ſie, die Leute koͤnnten wohl gar denken, ſie hielten nicht viel von dieſen hohen Dingen, wenn ſie ſich mit mir abgaͤben. Es waren Menſchen darunter, die nicht ihre einfaͤltigſten Gedanken mit der Sprache von ſich zu geben wußten. Die weite Welt lag jetzt vor mir, aber ich begriff nicht, wie ich darinn leben wollte. Mein ganzes Vermoͤgen war verloren, ich hatte keine Freunde und keine Ausſichten, keinen Muth, mir ſelber zu vertrauen, um das Ver-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/437>, abgerufen am 22.11.2024.