Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Bitten nahm man mich in einem Hospitale
auf. Ich kann nicht sagen, daß man für mich
sorgte, denn selbst der trägste Gärtner behan-
delt die Blumen, die schon verwelken wollen,
liebreicher und mit mehr Aufmerksamkeit, als
hier die kranken, mit dem Tode ringenden
Menschen gehandhabt wurden. Manche werden
dennoch wieder gesund, und zu diesen gehörte
auch ich. Man entließ mich, ein Geistlicher
gab mir sogar fromme Wünsche mit, und die
Sonne schien mir nun wieder auf der freyen
Straße entgegen. Ich war noch sehr schwach,
abgefallen und bleich, aber dennoch ward Nie-
mand zum Mitleiden bewegt. Es giebt gar zu
viele Elende! rief man mir von allen Seiten
entgegen, weil selten ein Mensch so gewissen,
haft ist, es aufrichtig zu gestehn, daß er sich
nicht berufen fühle, die Noth des Menschen
zu erleichtern. Ich bettelte gleich dem Ver-
worfensten, aber mein Anzug war noch zu gut,
um das flüchtige Mitleid gefangen zu nehmen:
wer mir einen Sous gab, hielt sich zugleich
für berufen, mir tausend Bitterkeiten zu sagen,
die mich noch mehr schmerzten, als Hunger
und Krankheit, ja manche thaten es gewiß nur,

Lovell. 3r Bd. E e

Bitten nahm man mich in einem Hospitale
auf. Ich kann nicht ſagen, daß man fuͤr mich
ſorgte, denn ſelbſt der traͤgſte Gaͤrtner behan-
delt die Blumen, die ſchon verwelken wollen,
liebreicher und mit mehr Aufmerkſamkeit, als
hier die kranken, mit dem Tode ringenden
Menſchen gehandhabt wurden. Manche werden
dennoch wieder geſund, und zu dieſen gehoͤrte
auch ich. Man entließ mich, ein Geiſtlicher
gab mir ſogar fromme Wuͤnſche mit, und die
Sonne ſchien mir nun wieder auf der freyen
Straße entgegen. Ich war noch ſehr ſchwach,
abgefallen und bleich, aber dennoch ward Nie-
mand zum Mitleiden bewegt. Es giebt gar zu
viele Elende! rief man mir von allen Seiten
entgegen, weil ſelten ein Menſch ſo gewiſſen,
haft iſt, es aufrichtig zu geſtehn, daß er ſich
nicht berufen fuͤhle, die Noth des Menſchen
zu erleichtern. Ich bettelte gleich dem Ver-
worfenſten, aber mein Anzug war noch zu gut,
um das fluͤchtige Mitleid gefangen zu nehmen:
wer mir einen Sous gab, hielt ſich zugleich
fuͤr berufen, mir tauſend Bitterkeiten zu ſagen,
die mich noch mehr ſchmerzten, als Hunger
und Krankheit, ja manche thaten es gewiß nur,

Lovell. 3r Bd. E e
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0440" n="433"/>
Bitten nahm man mich in einem Hospitale<lb/>
auf. Ich kann nicht &#x017F;agen, daß man fu&#x0364;r mich<lb/>
&#x017F;orgte, denn &#x017F;elb&#x017F;t der tra&#x0364;g&#x017F;te Ga&#x0364;rtner behan-<lb/>
delt die Blumen, die &#x017F;chon verwelken wollen,<lb/>
liebreicher und mit mehr Aufmerk&#x017F;amkeit, als<lb/>
hier die kranken, mit dem Tode ringenden<lb/>
Men&#x017F;chen gehandhabt wurden. Manche werden<lb/>
dennoch wieder ge&#x017F;und, und zu die&#x017F;en geho&#x0364;rte<lb/>
auch ich. Man entließ mich, ein Gei&#x017F;tlicher<lb/>
gab mir &#x017F;ogar fromme Wu&#x0364;n&#x017F;che mit, und die<lb/>
Sonne &#x017F;chien mir nun wieder auf der freyen<lb/>
Straße entgegen. Ich war noch &#x017F;ehr &#x017F;chwach,<lb/>
abgefallen und bleich, aber dennoch ward Nie-<lb/>
mand zum Mitleiden bewegt. Es giebt gar zu<lb/>
viele Elende! rief man mir von allen Seiten<lb/>
entgegen, weil &#x017F;elten ein Men&#x017F;ch &#x017F;o gewi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
haft i&#x017F;t, es aufrichtig zu ge&#x017F;tehn, daß er &#x017F;ich<lb/>
nicht berufen fu&#x0364;hle, die Noth des Men&#x017F;chen<lb/>
zu erleichtern. Ich bettelte gleich dem Ver-<lb/>
worfen&#x017F;ten, aber mein Anzug war noch zu gut,<lb/>
um das flu&#x0364;chtige Mitleid gefangen zu nehmen:<lb/>
wer mir einen Sous gab, hielt &#x017F;ich zugleich<lb/>
fu&#x0364;r berufen, mir tau&#x017F;end Bitterkeiten zu &#x017F;agen,<lb/>
die mich noch mehr &#x017F;chmerzten, als Hunger<lb/>
und Krankheit, ja manche thaten es gewiß nur,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Lovell. 3r Bd. E e</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[433/0440] Bitten nahm man mich in einem Hospitale auf. Ich kann nicht ſagen, daß man fuͤr mich ſorgte, denn ſelbſt der traͤgſte Gaͤrtner behan- delt die Blumen, die ſchon verwelken wollen, liebreicher und mit mehr Aufmerkſamkeit, als hier die kranken, mit dem Tode ringenden Menſchen gehandhabt wurden. Manche werden dennoch wieder geſund, und zu dieſen gehoͤrte auch ich. Man entließ mich, ein Geiſtlicher gab mir ſogar fromme Wuͤnſche mit, und die Sonne ſchien mir nun wieder auf der freyen Straße entgegen. Ich war noch ſehr ſchwach, abgefallen und bleich, aber dennoch ward Nie- mand zum Mitleiden bewegt. Es giebt gar zu viele Elende! rief man mir von allen Seiten entgegen, weil ſelten ein Menſch ſo gewiſſen, haft iſt, es aufrichtig zu geſtehn, daß er ſich nicht berufen fuͤhle, die Noth des Menſchen zu erleichtern. Ich bettelte gleich dem Ver- worfenſten, aber mein Anzug war noch zu gut, um das fluͤchtige Mitleid gefangen zu nehmen: wer mir einen Sous gab, hielt ſich zugleich fuͤr berufen, mir tauſend Bitterkeiten zu ſagen, die mich noch mehr ſchmerzten, als Hunger und Krankheit, ja manche thaten es gewiß nur, Lovell. 3r Bd. E e

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/440
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/440>, abgerufen am 25.11.2024.