Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

ihre dringende Bitte nicht zu ihr gekommen,
sonst hätte sie mir wahrscheinlich schon damals
den ganzen Vorfall erzählt. -- An manchen
Zufälligkeiten hängt oft ein wichtiger Theil un-
sers Lebens! Ich erinnere mich jetzt dieses Bil-
lets, und auch, daß ich aus Trägheit nicht zu
ihr ging.

Ich habe mir oft im Stillen eingebildet,
daß Rosaline noch lebe, und daß ich sie gewiß
einmal wiedersehen würde. Dieser Gedanke,
so seltsam es auch klingen mag, hat mich heim-
lich in manchen Stunden beruhigt, ich glaubte
selbst, daß das Wesen, das im Wagen neben
mir gesessen hatte, die wirkliche Rosaline gewe-
sen sey, -- und nun ist mir auch diese Hoff-
nung genommen.

Ich darf wohl kaum noch fragen, wie es
denn eigentlich mit der Erscheinung zusammen-
hängt, von der Sie mir einmal schrieben? --

Bianka wird heute begraben. Ich habe sie
gesehn. Laura hat sie mit Blumen aufgeputzt,
und die Leiche sieht wieder Rosalinen so ähn-
lich, daß mir ein Schauder durch alle Gebeine
ging. Ich habe schon oft in den Kirchen vor
den mit Gold, Blumen und Bändern geschmück-

ihre dringende Bitte nicht zu ihr gekommen,
ſonſt haͤtte ſie mir wahrſcheinlich ſchon damals
den ganzen Vorfall erzaͤhlt. — An manchen
Zufaͤlligkeiten haͤngt oft ein wichtiger Theil un-
ſers Lebens! Ich erinnere mich jetzt dieſes Bil-
lets, und auch, daß ich aus Traͤgheit nicht zu
ihr ging.

Ich habe mir oft im Stillen eingebildet,
daß Roſaline noch lebe, und daß ich ſie gewiß
einmal wiederſehen wuͤrde. Dieſer Gedanke,
ſo ſeltſam es auch klingen mag, hat mich heim-
lich in manchen Stunden beruhigt, ich glaubte
ſelbſt, daß das Weſen, das im Wagen neben
mir geſeſſen hatte, die wirkliche Roſaline gewe-
ſen ſey, — und nun iſt mir auch dieſe Hoff-
nung genommen.

Ich darf wohl kaum noch fragen, wie es
denn eigentlich mit der Erſcheinung zuſammen-
haͤngt, von der Sie mir einmal ſchrieben? —

Bianka wird heute begraben. Ich habe ſie
geſehn. Laura hat ſie mit Blumen aufgeputzt,
und die Leiche ſieht wieder Roſalinen ſo aͤhn-
lich, daß mir ein Schauder durch alle Gebeine
ging. Ich habe ſchon oft in den Kirchen vor
den mit Gold, Blumen und Baͤndern geſchmuͤck-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0466" n="459"/>
ihre dringende Bitte nicht zu ihr gekommen,<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t ha&#x0364;tte &#x017F;ie mir wahr&#x017F;cheinlich &#x017F;chon damals<lb/>
den ganzen Vorfall erza&#x0364;hlt. &#x2014; An manchen<lb/>
Zufa&#x0364;lligkeiten ha&#x0364;ngt oft ein wichtiger Theil un-<lb/>
&#x017F;ers Lebens! Ich erinnere mich jetzt die&#x017F;es Bil-<lb/>
lets, und auch, daß ich aus Tra&#x0364;gheit nicht zu<lb/>
ihr ging.</p><lb/>
          <p>Ich habe mir oft im Stillen eingebildet,<lb/>
daß Ro&#x017F;aline noch lebe, und daß ich &#x017F;ie gewiß<lb/>
einmal wieder&#x017F;ehen wu&#x0364;rde. Die&#x017F;er Gedanke,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;elt&#x017F;am es auch klingen mag, hat mich heim-<lb/>
lich in manchen Stunden beruhigt, ich glaubte<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, daß das We&#x017F;en, das im Wagen neben<lb/>
mir ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en hatte, die wirkliche Ro&#x017F;aline gewe-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;ey, &#x2014; und nun i&#x017F;t mir auch <hi rendition="#g">die&#x017F;e</hi> Hoff-<lb/>
nung genommen.</p><lb/>
          <p>Ich darf wohl kaum noch fragen, wie es<lb/>
denn eigentlich mit der Er&#x017F;cheinung zu&#x017F;ammen-<lb/>
ha&#x0364;ngt, von der Sie mir einmal &#x017F;chrieben? &#x2014;</p><lb/>
          <p>Bianka wird heute begraben. Ich habe &#x017F;ie<lb/>
ge&#x017F;ehn. Laura hat &#x017F;ie mit Blumen aufgeputzt,<lb/>
und die Leiche &#x017F;ieht wieder Ro&#x017F;alinen &#x017F;o a&#x0364;hn-<lb/>
lich, daß mir ein Schauder durch alle Gebeine<lb/>
ging. Ich habe &#x017F;chon oft in den Kirchen vor<lb/>
den mit Gold, Blumen und Ba&#x0364;ndern ge&#x017F;chmu&#x0364;ck-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[459/0466] ihre dringende Bitte nicht zu ihr gekommen, ſonſt haͤtte ſie mir wahrſcheinlich ſchon damals den ganzen Vorfall erzaͤhlt. — An manchen Zufaͤlligkeiten haͤngt oft ein wichtiger Theil un- ſers Lebens! Ich erinnere mich jetzt dieſes Bil- lets, und auch, daß ich aus Traͤgheit nicht zu ihr ging. Ich habe mir oft im Stillen eingebildet, daß Roſaline noch lebe, und daß ich ſie gewiß einmal wiederſehen wuͤrde. Dieſer Gedanke, ſo ſeltſam es auch klingen mag, hat mich heim- lich in manchen Stunden beruhigt, ich glaubte ſelbſt, daß das Weſen, das im Wagen neben mir geſeſſen hatte, die wirkliche Roſaline gewe- ſen ſey, — und nun iſt mir auch dieſe Hoff- nung genommen. Ich darf wohl kaum noch fragen, wie es denn eigentlich mit der Erſcheinung zuſammen- haͤngt, von der Sie mir einmal ſchrieben? — Bianka wird heute begraben. Ich habe ſie geſehn. Laura hat ſie mit Blumen aufgeputzt, und die Leiche ſieht wieder Roſalinen ſo aͤhn- lich, daß mir ein Schauder durch alle Gebeine ging. Ich habe ſchon oft in den Kirchen vor den mit Gold, Blumen und Baͤndern geſchmuͤck-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/466
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/466>, abgerufen am 04.12.2024.