Lieber Freund, Andrea's Papiere haben mich vielleicht eben so gedemüthigt, wie Sie dadurch niedergeschlagen sind. Ich kann mir jetzt Ihren Zustand recht lebhaft denken, ich fühle mit Ihnen.
Sie sollten mich nicht an jenen Brief er- innern, in dem ich Ihnen von Andrea's wun- derbaren Doppelheit sagte; ich schäme mich, so oft ich daran denke. Nicht, daß die ganze Sache eine zu Andrea's Besten erfundene Lüge gewesen wäre, sondern weil ich mich damals von diesem Menschen ganz wie ein Kind behan- deln ließ, so daß ich mir gleichsam auf seinen Befehl tausend Dinge einbildete und sie fest glaubte. Er fand es für gut, mich noch frü- her als Sie zu verblenden, weil er allen Men- schen nur bis auf einen gewissen Punkt traute, er wollte mich nicht ganz zu seinem eigentlichen Vertrauten machen, weil es denn doch immer
28. Roſa an William Lovell.
Tivoli.
Lieber Freund, Andrea's Papiere haben mich vielleicht eben ſo gedemuͤthigt, wie Sie dadurch niedergeſchlagen ſind. Ich kann mir jetzt Ihren Zuſtand recht lebhaft denken, ich fuͤhle mit Ihnen.
Sie ſollten mich nicht an jenen Brief er- innern, in dem ich Ihnen von Andrea's wun- derbaren Doppelheit ſagte; ich ſchaͤme mich, ſo oft ich daran denke. Nicht, daß die ganze Sache eine zu Andrea's Beſten erfundene Luͤge geweſen waͤre, ſondern weil ich mich damals von dieſem Menſchen ganz wie ein Kind behan- deln ließ, ſo daß ich mir gleichſam auf ſeinen Befehl tauſend Dinge einbildete und ſie feſt glaubte. Er fand es fuͤr gut, mich noch fruͤ- her als Sie zu verblenden, weil er allen Men- ſchen nur bis auf einen gewiſſen Punkt traute, er wollte mich nicht ganz zu ſeinem eigentlichen Vertrauten machen, weil es denn doch immer
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0468"n="461"/><divn="2"><head>28.<lb/><hirendition="#g">Roſa</hi> an <hirendition="#g">William Lovell</hi>.</head><lb/><dateline><hirendition="#et"><hirendition="#g">Tivoli</hi>.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">L</hi>ieber Freund, Andrea's Papiere haben mich<lb/>
vielleicht eben ſo gedemuͤthigt, wie Sie dadurch<lb/>
niedergeſchlagen ſind. Ich kann mir jetzt Ihren<lb/>
Zuſtand recht lebhaft denken, ich fuͤhle mit<lb/>
Ihnen.</p><lb/><p>Sie ſollten mich nicht an jenen Brief er-<lb/>
innern, in dem ich Ihnen von Andrea's wun-<lb/>
derbaren Doppelheit ſagte; ich ſchaͤme mich, ſo<lb/>
oft ich daran denke. Nicht, daß die ganze<lb/>
Sache eine zu Andrea's Beſten erfundene Luͤge<lb/>
geweſen waͤre, ſondern weil ich mich damals<lb/>
von dieſem Menſchen ganz wie ein Kind behan-<lb/>
deln ließ, ſo daß ich mir gleichſam auf ſeinen<lb/>
Befehl tauſend Dinge einbildete und ſie feſt<lb/>
glaubte. Er fand es fuͤr gut, mich noch fruͤ-<lb/>
her als Sie zu verblenden, weil er allen Men-<lb/>ſchen nur bis auf einen gewiſſen Punkt traute,<lb/>
er wollte mich nicht ganz zu ſeinem eigentlichen<lb/>
Vertrauten machen, weil es denn doch immer<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[461/0468]
28.
Roſa an William Lovell.
Tivoli.
Lieber Freund, Andrea's Papiere haben mich
vielleicht eben ſo gedemuͤthigt, wie Sie dadurch
niedergeſchlagen ſind. Ich kann mir jetzt Ihren
Zuſtand recht lebhaft denken, ich fuͤhle mit
Ihnen.
Sie ſollten mich nicht an jenen Brief er-
innern, in dem ich Ihnen von Andrea's wun-
derbaren Doppelheit ſagte; ich ſchaͤme mich, ſo
oft ich daran denke. Nicht, daß die ganze
Sache eine zu Andrea's Beſten erfundene Luͤge
geweſen waͤre, ſondern weil ich mich damals
von dieſem Menſchen ganz wie ein Kind behan-
deln ließ, ſo daß ich mir gleichſam auf ſeinen
Befehl tauſend Dinge einbildete und ſie feſt
glaubte. Er fand es fuͤr gut, mich noch fruͤ-
her als Sie zu verblenden, weil er allen Men-
ſchen nur bis auf einen gewiſſen Punkt traute,
er wollte mich nicht ganz zu ſeinem eigentlichen
Vertrauten machen, weil es denn doch immer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/468>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.