der finstern Nacht vielleicht verfehlt hätte! -- Sie hatte schon seit einer halben Stunde ängst- lich auf mich gewartet, ich setzte mich in den Wagen, und wir fuhren davon.
Emilie hielt mich fest in ihren Armen; der Wind ging scharf, und ein feiner Regen trieb in den halb offenen Wagen hinein. Meine Le- bensgeister waren erschöpft; ich schlief ein, und erwachte nur, als sich ein blasses Morgenroth am Himmel herauf zog.
Wie nüchtern kam mir die ganze Welt mit ihren Bergen, Wäldern und Menschen entgegen! Ich hatte angenehm geträumt, und die würkli- che Natur stand schroff und unbeholfen vor mir da; Emilie neben mir, mit ihrer affektirten hochbetrübten Miene. Wie ein bettelhaftes Win- keltheater kam mir die ganze Welt vor, o! ich hätte aus ihr entlaufen mögen. -- Und was würde mich noch auf dieser trüben Dunstkugel zurückhalten, wenn es nicht die Hoffnung wäre, Sie, Andrea, und meine übrigen Freunde bald wieder zu sehen? mich der unbekannten, geheim- nißvollen Welt noch mehr zu nähern, und als der Schüler einer höhern Weisheit mit Recht jede irdische verachten zu können?
der finſtern Nacht vielleicht verfehlt haͤtte! — Sie hatte ſchon ſeit einer halben Stunde aͤngſt- lich auf mich gewartet, ich ſetzte mich in den Wagen, und wir fuhren davon.
Emilie hielt mich feſt in ihren Armen; der Wind ging ſcharf, und ein feiner Regen trieb in den halb offenen Wagen hinein. Meine Le- bensgeiſter waren erſchoͤpft; ich ſchlief ein, und erwachte nur, als ſich ein blaſſes Morgenroth am Himmel herauf zog.
Wie nuͤchtern kam mir die ganze Welt mit ihren Bergen, Waͤldern und Menſchen entgegen! Ich hatte angenehm getraͤumt, und die wuͤrkli- che Natur ſtand ſchroff und unbeholfen vor mir da; Emilie neben mir, mit ihrer affektirten hochbetruͤbten Miene. Wie ein bettelhaftes Win- keltheater kam mir die ganze Welt vor, o! ich haͤtte aus ihr entlaufen moͤgen. — Und was wuͤrde mich noch auf dieſer truͤben Dunſtkugel zuruͤckhalten, wenn es nicht die Hoffnung waͤre, Sie, Andrea, und meine uͤbrigen Freunde bald wieder zu ſehen? mich der unbekannten, geheim- nißvollen Welt noch mehr zu naͤhern, und als der Schuͤler einer hoͤhern Weisheit mit Recht jede irdiſche verachten zu koͤnnen?
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der finſtern Nacht vielleicht verfehlt haͤtte! —
Sie hatte ſchon ſeit einer halben Stunde aͤngſt-
lich auf mich gewartet, ich ſetzte mich in den
Wagen, und wir fuhren davon.
Emilie hielt mich feſt in ihren Armen; der
Wind ging ſcharf, und ein feiner Regen trieb
in den halb offenen Wagen hinein. Meine Le-
bensgeiſter waren erſchoͤpft; ich ſchlief ein, und
erwachte nur, als ſich ein blaſſes Morgenroth
am Himmel herauf zog.
Wie nuͤchtern kam mir die ganze Welt mit
ihren Bergen, Waͤldern und Menſchen entgegen!
Ich hatte angenehm getraͤumt, und die wuͤrkli-
che Natur ſtand ſchroff und unbeholfen vor mir
da; Emilie neben mir, mit ihrer affektirten
hochbetruͤbten Miene. Wie ein bettelhaftes Win-
keltheater kam mir die ganze Welt vor, o! ich
haͤtte aus ihr entlaufen moͤgen. — Und was
wuͤrde mich noch auf dieſer truͤben Dunſtkugel
zuruͤckhalten, wenn es nicht die Hoffnung waͤre,
Sie, Andrea, und meine uͤbrigen Freunde bald
wieder zu ſehen? mich der unbekannten, geheim-
nißvollen Welt noch mehr zu naͤhern, und als
der Schuͤler einer hoͤhern Weisheit mit Recht
jede irdiſche verachten zu koͤnnen?
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/99>, abgerufen am 23.11.2024.
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