kleine Brunnen in perlenden Stralen klingend tropfen, und Turteltauben girren: der anmuthigste Wald mit wilden Hirschen und Rehen, Feld und Wiesen dazwischen, und Kunstgebilde an den bedeutendsten Stellen, alles findet sich in diesem elysischen Garten, dessen Reitze nie ver- alten, und der jetzt eben wieder wie eine Insel der Seligen vor meiner Einbildung schwebt.
Doch hab' ich in vielen Büchern gelesen, wandte Emilie ein, daß die Gartenkunst der Italiäner noch in der Kindheit sei, und daß sie weit hinter den Deutschen zurückstehen.
In allen menschlichen Angelegenheiten, ant- wortete Ernst, herrscht die Mode, aus der sich, wenn sie erst weit um sich gegriffen hat, leicht Sektengeist erzeugt, welchen man oft genug als Fortschritt der Kunst oder Menschheit unter dem Namen des Geistes der Zeit muß preisen hö- ren, und so gehören auch diese Aeußerungen und Glaubensmeinungen in das System so mancher andern, gegen die ich mich fast unbedingt erklä- ren möchte. Wo sind denn in Deutschland die vortreflichen Gärten im sogenannten Englischen Geschmack, gegen die der gebildete Sinn nicht sehr Vieles einzuwenden hätte?
Sprechen sie weiter! rief Clara lebhaft; schon einige empfindsame Reisende haben unsern muntern Garten als altfränkisch getadelt und meiner Mutter auf vielfache Weise gerathen, ei- nen krummen, und wenn man den nächsten Hü-
Einleitung.
kleine Brunnen in perlenden Stralen klingend tropfen, und Turteltauben girren: der anmuthigſte Wald mit wilden Hirſchen und Rehen, Feld und Wieſen dazwiſchen, und Kunſtgebilde an den bedeutendſten Stellen, alles findet ſich in dieſem elyſiſchen Garten, deſſen Reitze nie ver- alten, und der jetzt eben wieder wie eine Inſel der Seligen vor meiner Einbildung ſchwebt.
Doch hab' ich in vielen Buͤchern geleſen, wandte Emilie ein, daß die Gartenkunſt der Italiaͤner noch in der Kindheit ſei, und daß ſie weit hinter den Deutſchen zuruͤckſtehen.
In allen menſchlichen Angelegenheiten, ant- wortete Ernſt, herrſcht die Mode, aus der ſich, wenn ſie erſt weit um ſich gegriffen hat, leicht Sektengeiſt erzeugt, welchen man oft genug als Fortſchritt der Kunſt oder Menſchheit unter dem Namen des Geiſtes der Zeit muß preiſen hoͤ- ren, und ſo gehoͤren auch dieſe Aeußerungen und Glaubensmeinungen in das Syſtem ſo mancher andern, gegen die ich mich faſt unbedingt erklaͤ- ren moͤchte. Wo ſind denn in Deutſchland die vortreflichen Gaͤrten im ſogenannten Engliſchen Geſchmack, gegen die der gebildete Sinn nicht ſehr Vieles einzuwenden haͤtte?
Sprechen ſie weiter! rief Clara lebhaft; ſchon einige empfindſame Reiſende haben unſern muntern Garten als altfraͤnkiſch getadelt und meiner Mutter auf vielfache Weiſe gerathen, ei- nen krummen, und wenn man den naͤchſten Huͤ-
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Einleitung.
kleine Brunnen in perlenden Stralen klingend
tropfen, und Turteltauben girren: der anmuthigſte
Wald mit wilden Hirſchen und Rehen, Feld
und Wieſen dazwiſchen, und Kunſtgebilde an
den bedeutendſten Stellen, alles findet ſich in
dieſem elyſiſchen Garten, deſſen Reitze nie ver-
alten, und der jetzt eben wieder wie eine Inſel
der Seligen vor meiner Einbildung ſchwebt.
Doch hab' ich in vielen Buͤchern geleſen,
wandte Emilie ein, daß die Gartenkunſt der
Italiaͤner noch in der Kindheit ſei, und daß ſie
weit hinter den Deutſchen zuruͤckſtehen.
In allen menſchlichen Angelegenheiten, ant-
wortete Ernſt, herrſcht die Mode, aus der ſich,
wenn ſie erſt weit um ſich gegriffen hat, leicht
Sektengeiſt erzeugt, welchen man oft genug als
Fortſchritt der Kunſt oder Menſchheit unter dem
Namen des Geiſtes der Zeit muß preiſen hoͤ-
ren, und ſo gehoͤren auch dieſe Aeußerungen und
Glaubensmeinungen in das Syſtem ſo mancher
andern, gegen die ich mich faſt unbedingt erklaͤ-
ren moͤchte. Wo ſind denn in Deutſchland die
vortreflichen Gaͤrten im ſogenannten Engliſchen
Geſchmack, gegen die der gebildete Sinn nicht
ſehr Vieles einzuwenden haͤtte?
Sprechen ſie weiter! rief Clara lebhaft;
ſchon einige empfindſame Reiſende haben unſern
muntern Garten als altfraͤnkiſch getadelt und
meiner Mutter auf vielfache Weiſe gerathen, ei-
nen krummen, und wenn man den naͤchſten Huͤ-
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/101>, abgerufen am 24.11.2024.
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