licher, als Zurechtweisung eines einseitigen und mißverstandenen Hanges zur Natur.
Finden Sie denn aber wirklich alle Gärten dieser Art schön? fragte Auguste.
So wenig, antwortete Ernst, daß ich im Gegentheil viele gesehen habe, die mir durch ihre vollendete Abgeschmacktheit eine Art von Grau- sen erregt haben. Es giebt vielleicht in der gan- zen Natur keine traurigere Einsamkeit, als uns die erstorbene Formel dieser Gartenkunst in dem barocken übertriebenen Holländischen Geschmack darbietet, wo es den Reitz ausmachen soll, die Bäume nicht als solche wieder zu erkennen, wo Muscheln, Porzellan und glänzende Glaskugeln um fürchterlich verzerrte Bildsäulen auf gefärb- tem Sande stehn, wo das springende Wasser selbst seine liebliche Natur eingebüßt hat, und zum Possenreißer geworden ist, und wo auch so- gar der heiterste blaue Himmel nur wie ein ern- stes mißbilligendes Auge über dem vollendeten Unfug steht: Mond und Sterne über diesen Fra- tzen leuchtend und schimmernd, sind furchtbar, wie die lichten Gedanken im Geschwätz eines Verrückten.
Vom Wasser, fiel Theodor ein, wird über- haupt oft ein kindischer Mißbrauch gemacht, diese Vexirkünste, um uns plötzlich naß zu machen, sind den abgeschmackten neumodischen Gespensterge- schichten mit natürlichen Erklärungen zu verglei- chen; der Verdruß ist viel größer als der Schreck.
Einleitung.
licher, als Zurechtweiſung eines einſeitigen und mißverſtandenen Hanges zur Natur.
Finden Sie denn aber wirklich alle Gaͤrten dieſer Art ſchoͤn? fragte Auguſte.
So wenig, antwortete Ernſt, daß ich im Gegentheil viele geſehen habe, die mir durch ihre vollendete Abgeſchmacktheit eine Art von Grau- ſen erregt haben. Es giebt vielleicht in der gan- zen Natur keine traurigere Einſamkeit, als uns die erſtorbene Formel dieſer Gartenkunſt in dem barocken uͤbertriebenen Hollaͤndiſchen Geſchmack darbietet, wo es den Reitz ausmachen ſoll, die Baͤume nicht als ſolche wieder zu erkennen, wo Muſcheln, Porzellan und glaͤnzende Glaskugeln um fuͤrchterlich verzerrte Bildſaͤulen auf gefaͤrb- tem Sande ſtehn, wo das ſpringende Waſſer ſelbſt ſeine liebliche Natur eingebuͤßt hat, und zum Poſſenreißer geworden iſt, und wo auch ſo- gar der heiterſte blaue Himmel nur wie ein ern- ſtes mißbilligendes Auge uͤber dem vollendeten Unfug ſteht: Mond und Sterne uͤber dieſen Fra- tzen leuchtend und ſchimmernd, ſind furchtbar, wie die lichten Gedanken im Geſchwaͤtz eines Verruͤckten.
Vom Waſſer, fiel Theodor ein, wird uͤber- haupt oft ein kindiſcher Mißbrauch gemacht, dieſe Vexirkuͤnſte, um uns ploͤtzlich naß zu machen, ſind den abgeſchmackten neumodiſchen Geſpenſterge- ſchichten mit natuͤrlichen Erklaͤrungen zu verglei- chen; der Verdruß iſt viel groͤßer als der Schreck.
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Einleitung.
licher, als Zurechtweiſung eines einſeitigen und
mißverſtandenen Hanges zur Natur.
Finden Sie denn aber wirklich alle Gaͤrten
dieſer Art ſchoͤn? fragte Auguſte.
So wenig, antwortete Ernſt, daß ich im
Gegentheil viele geſehen habe, die mir durch ihre
vollendete Abgeſchmacktheit eine Art von Grau-
ſen erregt haben. Es giebt vielleicht in der gan-
zen Natur keine traurigere Einſamkeit, als uns
die erſtorbene Formel dieſer Gartenkunſt in dem
barocken uͤbertriebenen Hollaͤndiſchen Geſchmack
darbietet, wo es den Reitz ausmachen ſoll, die
Baͤume nicht als ſolche wieder zu erkennen, wo
Muſcheln, Porzellan und glaͤnzende Glaskugeln
um fuͤrchterlich verzerrte Bildſaͤulen auf gefaͤrb-
tem Sande ſtehn, wo das ſpringende Waſſer
ſelbſt ſeine liebliche Natur eingebuͤßt hat, und
zum Poſſenreißer geworden iſt, und wo auch ſo-
gar der heiterſte blaue Himmel nur wie ein ern-
ſtes mißbilligendes Auge uͤber dem vollendeten
Unfug ſteht: Mond und Sterne uͤber dieſen Fra-
tzen leuchtend und ſchimmernd, ſind furchtbar,
wie die lichten Gedanken im Geſchwaͤtz eines
Verruͤckten.
Vom Waſſer, fiel Theodor ein, wird uͤber-
haupt oft ein kindiſcher Mißbrauch gemacht, dieſe
Vexirkuͤnſte, um uns ploͤtzlich naß zu machen, ſind
den abgeſchmackten neumodiſchen Geſpenſterge-
ſchichten mit natuͤrlichen Erklaͤrungen zu verglei-
chen; der Verdruß iſt viel groͤßer als der Schreck.
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/105>, abgerufen am 21.11.2024.
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