Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
ton, nicht hiemit) anstößig finden möchte, was
aber, hoffe ich, nach dem in unserm Gespräch
angegebenen Unterschied keinem gebildeten und
heitern Menschen ärgerlich werden kann. Wir
wollen aber weder zu viel versprechen noch dro-
hen, sondern laßt uns vielmehr beginnen, und
wählt also, ihr Frauen, denjenigen aus, wel-
cher zuerst der Anführer und Gebieter im Felde
unsrer poetischen Spiele und Wettkämpfe sein
soll.

Clara gab ihren Blumenstrauß dem neben
ihr sitzenden Anton und sagte: Sie haben fast
immer geschwiegen, sprechen Sie nun. Anton
verbeugte sich und heftete die Blumen an seine
Brust: so wollen wir denn, sagte er, mit Mähr-
chen der einfachsten Composition beginnen, und
jeder bringe morgen das seinige vor unsre Richter.

Mit Mährchen, sagte Clara, fängt das Le-
ben an; in ihnen entwickelt sich das Gefühl der
Kinder zuerst, und ihre Spiele und Puppen, ihre
Lehrstunden und Spatziergänge werden vor ihrer
Phantasie zu Mährchen, die ich noch immer ganz
vorzüglich liebe, das heißt, wenn sie so sind,
wie ich sie liebe. So gebe die Muse, daß Ih-
nen die unsrigen wohl gefallen, sagte Anton.

Indem stand die Gesellschaft auf, um vom
nächsten Hügel den schönen Untergang der Sonne
zu genießen. Auch ein Mährchen, sagte Rosalie,
indem sie die Hand vor die Augen hielt, und dem
blendenden Scheine nachsah; so wie der Früh-
ling und die Pracht der Blumen, es blüht auf in

Einleitung.
ton, nicht hiemit) anſtoͤßig finden moͤchte, was
aber, hoffe ich, nach dem in unſerm Geſpraͤch
angegebenen Unterſchied keinem gebildeten und
heitern Menſchen aͤrgerlich werden kann. Wir
wollen aber weder zu viel verſprechen noch dro-
hen, ſondern laßt uns vielmehr beginnen, und
waͤhlt alſo, ihr Frauen, denjenigen aus, wel-
cher zuerſt der Anfuͤhrer und Gebieter im Felde
unſrer poetiſchen Spiele und Wettkaͤmpfe ſein
ſoll.

Clara gab ihren Blumenſtrauß dem neben
ihr ſitzenden Anton und ſagte: Sie haben faſt
immer geſchwiegen, ſprechen Sie nun. Anton
verbeugte ſich und heftete die Blumen an ſeine
Bruſt: ſo wollen wir denn, ſagte er, mit Maͤhr-
chen der einfachſten Compoſition beginnen, und
jeder bringe morgen das ſeinige vor unſre Richter.

Mit Maͤhrchen, ſagte Clara, faͤngt das Le-
ben an; in ihnen entwickelt ſich das Gefuͤhl der
Kinder zuerſt, und ihre Spiele und Puppen, ihre
Lehrſtunden und Spatziergaͤnge werden vor ihrer
Phantaſie zu Maͤhrchen, die ich noch immer ganz
vorzuͤglich liebe, das heißt, wenn ſie ſo ſind,
wie ich ſie liebe. So gebe die Muſe, daß Ih-
nen die unſrigen wohl gefallen, ſagte Anton.

Indem ſtand die Geſellſchaft auf, um vom
naͤchſten Huͤgel den ſchoͤnen Untergang der Sonne
zu genießen. Auch ein Maͤhrchen, ſagte Roſalie,
indem ſie die Hand vor die Augen hielt, und dem
blendenden Scheine nachſah; ſo wie der Fruͤh-
ling und die Pracht der Blumen, es bluͤht auf in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0142" n="131"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
ton, nicht hiemit) an&#x017F;to&#x0364;ßig finden mo&#x0364;chte, was<lb/>
aber, hoffe ich, nach dem in un&#x017F;erm Ge&#x017F;pra&#x0364;ch<lb/>
angegebenen Unter&#x017F;chied keinem gebildeten und<lb/>
heitern Men&#x017F;chen a&#x0364;rgerlich werden kann. Wir<lb/>
wollen aber weder zu viel ver&#x017F;prechen noch dro-<lb/>
hen, &#x017F;ondern laßt uns vielmehr beginnen, und<lb/>
wa&#x0364;hlt al&#x017F;o, ihr Frauen, denjenigen aus, wel-<lb/>
cher zuer&#x017F;t der Anfu&#x0364;hrer und Gebieter im Felde<lb/>
un&#x017F;rer poeti&#x017F;chen Spiele und Wettka&#x0364;mpfe &#x017F;ein<lb/>
&#x017F;oll.</p><lb/>
        <p>Clara gab ihren Blumen&#x017F;trauß dem neben<lb/>
ihr &#x017F;itzenden Anton und &#x017F;agte: Sie haben fa&#x017F;t<lb/>
immer ge&#x017F;chwiegen, &#x017F;prechen Sie nun. Anton<lb/>
verbeugte &#x017F;ich und heftete die Blumen an &#x017F;eine<lb/>
Bru&#x017F;t: &#x017F;o wollen wir denn, &#x017F;agte er, mit Ma&#x0364;hr-<lb/>
chen der einfach&#x017F;ten Compo&#x017F;ition beginnen, und<lb/>
jeder bringe morgen das &#x017F;einige vor un&#x017F;re Richter.</p><lb/>
        <p>Mit Ma&#x0364;hrchen, &#x017F;agte Clara, fa&#x0364;ngt das Le-<lb/>
ben an; in ihnen entwickelt &#x017F;ich das Gefu&#x0364;hl der<lb/>
Kinder zuer&#x017F;t, und ihre Spiele und Puppen, ihre<lb/>
Lehr&#x017F;tunden und Spatzierga&#x0364;nge werden vor ihrer<lb/>
Phanta&#x017F;ie zu Ma&#x0364;hrchen, die ich noch immer ganz<lb/>
vorzu&#x0364;glich liebe, das heißt, wenn &#x017F;ie &#x017F;o &#x017F;ind,<lb/>
wie ich &#x017F;ie liebe. So gebe die Mu&#x017F;e, daß Ih-<lb/>
nen die un&#x017F;rigen wohl gefallen, &#x017F;agte Anton.</p><lb/>
        <p>Indem &#x017F;tand die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft auf, um vom<lb/>
na&#x0364;ch&#x017F;ten Hu&#x0364;gel den &#x017F;cho&#x0364;nen Untergang der Sonne<lb/>
zu genießen. Auch ein Ma&#x0364;hrchen, &#x017F;agte Ro&#x017F;alie,<lb/>
indem &#x017F;ie die Hand vor die Augen hielt, und dem<lb/>
blendenden Scheine nach&#x017F;ah; &#x017F;o wie der Fru&#x0364;h-<lb/>
ling und die Pracht der Blumen, es blu&#x0364;ht auf in<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[131/0142] Einleitung. ton, nicht hiemit) anſtoͤßig finden moͤchte, was aber, hoffe ich, nach dem in unſerm Geſpraͤch angegebenen Unterſchied keinem gebildeten und heitern Menſchen aͤrgerlich werden kann. Wir wollen aber weder zu viel verſprechen noch dro- hen, ſondern laßt uns vielmehr beginnen, und waͤhlt alſo, ihr Frauen, denjenigen aus, wel- cher zuerſt der Anfuͤhrer und Gebieter im Felde unſrer poetiſchen Spiele und Wettkaͤmpfe ſein ſoll. Clara gab ihren Blumenſtrauß dem neben ihr ſitzenden Anton und ſagte: Sie haben faſt immer geſchwiegen, ſprechen Sie nun. Anton verbeugte ſich und heftete die Blumen an ſeine Bruſt: ſo wollen wir denn, ſagte er, mit Maͤhr- chen der einfachſten Compoſition beginnen, und jeder bringe morgen das ſeinige vor unſre Richter. Mit Maͤhrchen, ſagte Clara, faͤngt das Le- ben an; in ihnen entwickelt ſich das Gefuͤhl der Kinder zuerſt, und ihre Spiele und Puppen, ihre Lehrſtunden und Spatziergaͤnge werden vor ihrer Phantaſie zu Maͤhrchen, die ich noch immer ganz vorzuͤglich liebe, das heißt, wenn ſie ſo ſind, wie ich ſie liebe. So gebe die Muſe, daß Ih- nen die unſrigen wohl gefallen, ſagte Anton. Indem ſtand die Geſellſchaft auf, um vom naͤchſten Huͤgel den ſchoͤnen Untergang der Sonne zu genießen. Auch ein Maͤhrchen, ſagte Roſalie, indem ſie die Hand vor die Augen hielt, und dem blendenden Scheine nachſah; ſo wie der Fruͤh- ling und die Pracht der Blumen, es bluͤht auf in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/142
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/142>, abgerufen am 17.05.2024.