Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Einleitung. Zeit den Anblick des Himmels. Es wurde Abend,eh ich die Herberge erreichte, beim Sternenglanz, den mir die grünen Lauben oft verhüllten, rausch- ten näher und vertraulicher die Wasserfälle, die sich in mannigfachen Krümmungen Wege durch das frische Thal suchten; die Lichter des Ortes waren bald nahe, bald fern, bald wieder ver- schwunden, und das Echo, das unsere Reden und den Hufschlag der Pferde wiederholte, das Flüstern der Lauben, das Rauschen der Bäume, das Brausen und Tönen der Wasser, die wie in Freundschaft und Zorn abwechselnd näher und ferner schwazten und zankten, vom Bellen wach- samer Hunde aus verschiedenen Richtungen un- terbrochen, machten diesen Abend, indem noch die grünenden Borromäischen Inseln in meiner Phantasie schwammen, zu einem der wundervoll- sten meines Lebens, dessen Musik sich oft wa- chend und träumend in mir wiederholt. Und -- wie ich sagte -- dieses romantische Gebirge hier erinnert mich lebhaft an den Genuß jener schö- nen Tage. Warum, sagte sein Freund Theodor, hast du Nenn' es, antwortete jener, Trägheit, Zag- Einleitung. Zeit den Anblick des Himmels. Es wurde Abend,eh ich die Herberge erreichte, beim Sternenglanz, den mir die gruͤnen Lauben oft verhuͤllten, rauſch- ten naͤher und vertraulicher die Waſſerfaͤlle, die ſich in mannigfachen Kruͤmmungen Wege durch das friſche Thal ſuchten; die Lichter des Ortes waren bald nahe, bald fern, bald wieder ver- ſchwunden, und das Echo, das unſere Reden und den Hufſchlag der Pferde wiederholte, das Fluͤſtern der Lauben, das Rauſchen der Baͤume, das Brauſen und Toͤnen der Waſſer, die wie in Freundſchaft und Zorn abwechſelnd naͤher und ferner ſchwazten und zankten, vom Bellen wach- ſamer Hunde aus verſchiedenen Richtungen un- terbrochen, machten dieſen Abend, indem noch die gruͤnenden Borromaͤiſchen Inſeln in meiner Phantaſie ſchwammen, zu einem der wundervoll- ſten meines Lebens, deſſen Muſik ſich oft wa- chend und traͤumend in mir wiederholt. Und — wie ich ſagte — dieſes romantiſche Gebirge hier erinnert mich lebhaft an den Genuß jener ſchoͤ- nen Tage. Warum, ſagte ſein Freund Theodor, haſt du Nenn' es, antwortete jener, Traͤgheit, Zag- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0015" n="4"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/> Zeit den Anblick des Himmels. Es wurde Abend,<lb/> eh ich die Herberge erreichte, beim Sternenglanz,<lb/> den mir die gruͤnen Lauben oft verhuͤllten, rauſch-<lb/> ten naͤher und vertraulicher die Waſſerfaͤlle, die<lb/> ſich in mannigfachen Kruͤmmungen Wege durch<lb/> das friſche Thal ſuchten; die Lichter des Ortes<lb/> waren bald nahe, bald fern, bald wieder ver-<lb/> ſchwunden, und das Echo, das unſere Reden<lb/> und den Hufſchlag der Pferde wiederholte, das<lb/> Fluͤſtern der Lauben, das Rauſchen der Baͤume,<lb/> das Brauſen und Toͤnen der Waſſer, die wie in<lb/> Freundſchaft und Zorn abwechſelnd naͤher und<lb/> ferner ſchwazten und zankten, vom Bellen wach-<lb/> ſamer Hunde aus verſchiedenen Richtungen un-<lb/> terbrochen, machten dieſen Abend, indem noch<lb/> die gruͤnenden Borromaͤiſchen Inſeln in meiner<lb/> Phantaſie ſchwammen, zu einem der wundervoll-<lb/> ſten meines Lebens, deſſen Muſik ſich oft wa-<lb/> chend und traͤumend in mir wiederholt. Und —<lb/> wie ich ſagte — dieſes romantiſche Gebirge hier<lb/> erinnert mich lebhaft an den Genuß jener ſchoͤ-<lb/> nen Tage.</p><lb/> <p>Warum, ſagte ſein Freund Theodor, haſt du<lb/> nie etwas von deinen Reiſen deinen nahen und<lb/> fernen Freunden oͤffentlich mittheilen wollen?</p><lb/> <p>Nenn' es, antwortete jener, Traͤgheit, Zag-<lb/> haftigkeit, oder wie du willſt: vielleicht auch ruͤhrt<lb/> es von einem einſeitigen, zu weit getriebenen Ab-<lb/> ſcheu gegen die meiſten Reiſebeſchreibungen aͤhn-<lb/> licher Art her, die mir bekannt geworden ſind.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [4/0015]
Einleitung.
Zeit den Anblick des Himmels. Es wurde Abend,
eh ich die Herberge erreichte, beim Sternenglanz,
den mir die gruͤnen Lauben oft verhuͤllten, rauſch-
ten naͤher und vertraulicher die Waſſerfaͤlle, die
ſich in mannigfachen Kruͤmmungen Wege durch
das friſche Thal ſuchten; die Lichter des Ortes
waren bald nahe, bald fern, bald wieder ver-
ſchwunden, und das Echo, das unſere Reden
und den Hufſchlag der Pferde wiederholte, das
Fluͤſtern der Lauben, das Rauſchen der Baͤume,
das Brauſen und Toͤnen der Waſſer, die wie in
Freundſchaft und Zorn abwechſelnd naͤher und
ferner ſchwazten und zankten, vom Bellen wach-
ſamer Hunde aus verſchiedenen Richtungen un-
terbrochen, machten dieſen Abend, indem noch
die gruͤnenden Borromaͤiſchen Inſeln in meiner
Phantaſie ſchwammen, zu einem der wundervoll-
ſten meines Lebens, deſſen Muſik ſich oft wa-
chend und traͤumend in mir wiederholt. Und —
wie ich ſagte — dieſes romantiſche Gebirge hier
erinnert mich lebhaft an den Genuß jener ſchoͤ-
nen Tage.
Warum, ſagte ſein Freund Theodor, haſt du
nie etwas von deinen Reiſen deinen nahen und
fernen Freunden oͤffentlich mittheilen wollen?
Nenn' es, antwortete jener, Traͤgheit, Zag-
haftigkeit, oder wie du willſt: vielleicht auch ruͤhrt
es von einem einſeitigen, zu weit getriebenen Ab-
ſcheu gegen die meiſten Reiſebeſchreibungen aͤhn-
licher Art her, die mir bekannt geworden ſind.
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