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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
Baumarten die Scheere am besten, da ihr festes
glänzendes Laub nur langsam wieder nachwächst,
und sie sich überhaupt weit mehr als empfind-
same Linden und jugendlich kühne Buchen dar-
ein fügen. Doch glaub' ich können geschnizte
Pyramiden und ähnliche Figuren füglich aus
jedem Garten ausgeschlossen werden.

Unser Garten, liebe Mutter, rief Clara, ist
nun hoffentlich auf alle Zeiten gerettet, denn es
steht vielleicht zu erwarten, daß man in der Zu-
kunft manche der natürlichen Parks wieder in
dergleichen künstliche Anlagen umarbeiten möchte.

-- Nicht wahr, mein Freund, (so wandte
sie sich gegen Anton) es ist überhaupt wohl
schwer zu sagen, was denn Natur oder natür-
lich sei?

Vielen Mißbrauch, erwiederte dieser, hat
man oft mit diesen Worten getrieben, am mei-
sten in jener Zeit, als man sich von einem stei-
fen Ceremoniell zu befreien strebte, welches man
irrigerweise Kunst nannte, und nun gegenüber
ein Wesen suchte, welches uns unter allen Be-
dingungen das Richtige und die Wahrheit geben
sollte. Kunst und Natur sind aber beide, rich-
tig verstanden, in der Poesie wie in den Kün-
sten, nur ein und dasselbe.

Am seltsamsten, sagte Theodor, ist mir das
Geschlecht der Naturjäger vorgekommen, welches
noch nicht ausgestorben ist, vor einigen Jahren
aber noch mehr verbreitet war; diejenigen meine

Erſte Abtheilung.
Baumarten die Scheere am beſten, da ihr feſtes
glaͤnzendes Laub nur langſam wieder nachwaͤchſt,
und ſie ſich uͤberhaupt weit mehr als empfind-
ſame Linden und jugendlich kuͤhne Buchen dar-
ein fuͤgen. Doch glaub' ich koͤnnen geſchnizte
Pyramiden und aͤhnliche Figuren fuͤglich aus
jedem Garten ausgeſchloſſen werden.

Unſer Garten, liebe Mutter, rief Clara, iſt
nun hoffentlich auf alle Zeiten gerettet, denn es
ſteht vielleicht zu erwarten, daß man in der Zu-
kunft manche der natuͤrlichen Parks wieder in
dergleichen kuͤnſtliche Anlagen umarbeiten moͤchte.

— Nicht wahr, mein Freund, (ſo wandte
ſie ſich gegen Anton) es iſt uͤberhaupt wohl
ſchwer zu ſagen, was denn Natur oder natuͤr-
lich ſei?

Vielen Mißbrauch, erwiederte dieſer, hat
man oft mit dieſen Worten getrieben, am mei-
ſten in jener Zeit, als man ſich von einem ſtei-
fen Ceremoniell zu befreien ſtrebte, welches man
irrigerweiſe Kunſt nannte, und nun gegenuͤber
ein Weſen ſuchte, welches uns unter allen Be-
dingungen das Richtige und die Wahrheit geben
ſollte. Kunſt und Natur ſind aber beide, rich-
tig verſtanden, in der Poeſie wie in den Kuͤn-
ſten, nur ein und daſſelbe.

Am ſeltſamſten, ſagte Theodor, iſt mir das
Geſchlecht der Naturjaͤger vorgekommen, welches
noch nicht ausgeſtorben iſt, vor einigen Jahren
aber noch mehr verbreitet war; diejenigen meine

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[146/0157] Erſte Abtheilung. Baumarten die Scheere am beſten, da ihr feſtes glaͤnzendes Laub nur langſam wieder nachwaͤchſt, und ſie ſich uͤberhaupt weit mehr als empfind- ſame Linden und jugendlich kuͤhne Buchen dar- ein fuͤgen. Doch glaub' ich koͤnnen geſchnizte Pyramiden und aͤhnliche Figuren fuͤglich aus jedem Garten ausgeſchloſſen werden. Unſer Garten, liebe Mutter, rief Clara, iſt nun hoffentlich auf alle Zeiten gerettet, denn es ſteht vielleicht zu erwarten, daß man in der Zu- kunft manche der natuͤrlichen Parks wieder in dergleichen kuͤnſtliche Anlagen umarbeiten moͤchte. — Nicht wahr, mein Freund, (ſo wandte ſie ſich gegen Anton) es iſt uͤberhaupt wohl ſchwer zu ſagen, was denn Natur oder natuͤr- lich ſei? Vielen Mißbrauch, erwiederte dieſer, hat man oft mit dieſen Worten getrieben, am mei- ſten in jener Zeit, als man ſich von einem ſtei- fen Ceremoniell zu befreien ſtrebte, welches man irrigerweiſe Kunſt nannte, und nun gegenuͤber ein Weſen ſuchte, welches uns unter allen Be- dingungen das Richtige und die Wahrheit geben ſollte. Kunſt und Natur ſind aber beide, rich- tig verſtanden, in der Poeſie wie in den Kuͤn- ſten, nur ein und daſſelbe. Am ſeltſamſten, ſagte Theodor, iſt mir das Geſchlecht der Naturjaͤger vorgekommen, welches noch nicht ausgeſtorben iſt, vor einigen Jahren aber noch mehr verbreitet war; diejenigen meine

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/157>, abgerufen am 21.11.2024.