Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Erste Abtheilung.

Durchspielt in Wogen Kraft und Duft,
Das Kindlein lacht die Blüthen an
Aus rothem Mund mit weißem Zahn,
Der Jüngling sieht sein Herz und Lieben
In Blumenschrift mit Glanz geschrieben,
Sich hebt der Jungfrau schöne Brust
In ahndungsvoller Liebeslust,
Der Greis erfrischt die alten Glieder
Und dünkt sich in der Kindheit wieder,
Und jedermann fühlt freudenschwanger
Den dunkeln Wald, den lichten Anger.
Du nur willst sitzen hier gekauert,
In deinen Sorgen eingebauert,
Von Schwermuths-Wolken rings umhängt,
In Noth und Zweifeln eingeengt?
Ich kenne dich nicht wieder schier;
Hinaus mach' straks dich vor die Thür,
Und thu dein menschlich Angesicht
Hinein in holdes Himmelslicht,
Laß nicht die Stirn dir so verrunzeln,
Der Lippen Frische ganz verschrunzeln,
Das Auge, das sonst Strahlen scharf
Von seinem lichten Bogen warf,
Ist tief hinein zum Haupt geschmolzen
Und schießt nur schwer' und stumpfe Bolzen,
Entzweit hat sich dein Mund mit Lachen
Scherz, Kuß sind ihm wildfremde Sachen,
In deiner gelb verschrumpften Haut
Der Kummer sich im Spiegel schaut;
Nicht, Creatur, mach' Schand' und Spott,
Wer dich geschaffen, deinem Gott,

Erſte Abtheilung.

Durchſpielt in Wogen Kraft und Duft,
Das Kindlein lacht die Bluͤthen an
Aus rothem Mund mit weißem Zahn,
Der Juͤngling ſieht ſein Herz und Lieben
In Blumenſchrift mit Glanz geſchrieben,
Sich hebt der Jungfrau ſchoͤne Bruſt
In ahndungsvoller Liebesluſt,
Der Greis erfriſcht die alten Glieder
Und duͤnkt ſich in der Kindheit wieder,
Und jedermann fuͤhlt freudenſchwanger
Den dunkeln Wald, den lichten Anger.
Du nur willſt ſitzen hier gekauert,
In deinen Sorgen eingebauert,
Von Schwermuths-Wolken rings umhaͤngt,
In Noth und Zweifeln eingeengt?
Ich kenne dich nicht wieder ſchier;
Hinaus mach' ſtraks dich vor die Thuͤr,
Und thu dein menſchlich Angeſicht
Hinein in holdes Himmelslicht,
Laß nicht die Stirn dir ſo verrunzeln,
Der Lippen Friſche ganz verſchrunzeln,
Das Auge, das ſonſt Strahlen ſcharf
Von ſeinem lichten Bogen warf,
Iſt tief hinein zum Haupt geſchmolzen
Und ſchießt nur ſchwer' und ſtumpfe Bolzen,
Entzweit hat ſich dein Mund mit Lachen
Scherz, Kuß ſind ihm wildfremde Sachen,
In deiner gelb verſchrumpften Haut
Der Kummer ſich im Spiegel ſchaut;
Nicht, Creatur, mach' Schand' und Spott,
Wer dich geſchaffen, deinem Gott,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <pb facs="#f0163" n="152"/>
              <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
              <l>Durch&#x017F;pielt in Wogen Kraft und Duft,</l><lb/>
              <l>Das Kindlein lacht die Blu&#x0364;then an</l><lb/>
              <l>Aus rothem Mund mit weißem Zahn,</l><lb/>
              <l>Der Ju&#x0364;ngling &#x017F;ieht &#x017F;ein Herz und Lieben</l><lb/>
              <l>In Blumen&#x017F;chrift mit Glanz ge&#x017F;chrieben,</l><lb/>
              <l>Sich hebt der Jungfrau &#x017F;cho&#x0364;ne Bru&#x017F;t</l><lb/>
              <l>In ahndungsvoller Liebeslu&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Der Greis erfri&#x017F;cht die alten Glieder</l><lb/>
              <l>Und du&#x0364;nkt &#x017F;ich in der Kindheit wieder,</l><lb/>
              <l>Und jedermann fu&#x0364;hlt freuden&#x017F;chwanger</l><lb/>
              <l>Den dunkeln Wald, den lichten Anger.</l><lb/>
              <l>Du nur will&#x017F;t &#x017F;itzen hier gekauert,</l><lb/>
              <l>In deinen Sorgen eingebauert,</l><lb/>
              <l>Von Schwermuths-Wolken rings umha&#x0364;ngt,</l><lb/>
              <l>In Noth und Zweifeln eingeengt?</l><lb/>
              <l>Ich kenne dich nicht wieder &#x017F;chier;</l><lb/>
              <l>Hinaus mach' &#x017F;traks dich vor die Thu&#x0364;r,</l><lb/>
              <l>Und thu dein men&#x017F;chlich Ange&#x017F;icht</l><lb/>
              <l>Hinein in holdes Himmelslicht,</l><lb/>
              <l>Laß nicht die Stirn dir &#x017F;o verrunzeln,</l><lb/>
              <l>Der Lippen Fri&#x017F;che ganz ver&#x017F;chrunzeln,</l><lb/>
              <l>Das Auge, das &#x017F;on&#x017F;t Strahlen &#x017F;charf</l><lb/>
              <l>Von &#x017F;einem lichten Bogen warf,</l><lb/>
              <l>I&#x017F;t tief hinein zum Haupt ge&#x017F;chmolzen</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;chießt nur &#x017F;chwer' und &#x017F;tumpfe Bolzen,</l><lb/>
              <l>Entzweit hat &#x017F;ich dein Mund mit Lachen</l><lb/>
              <l>Scherz, Kuß &#x017F;ind ihm wildfremde Sachen,</l><lb/>
              <l>In deiner gelb ver&#x017F;chrumpften Haut</l><lb/>
              <l>Der Kummer &#x017F;ich im Spiegel &#x017F;chaut;</l><lb/>
              <l>Nicht, Creatur, mach' Schand' und Spott,</l><lb/>
              <l>Wer dich ge&#x017F;chaffen, deinem Gott,</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0163] Erſte Abtheilung. Durchſpielt in Wogen Kraft und Duft, Das Kindlein lacht die Bluͤthen an Aus rothem Mund mit weißem Zahn, Der Juͤngling ſieht ſein Herz und Lieben In Blumenſchrift mit Glanz geſchrieben, Sich hebt der Jungfrau ſchoͤne Bruſt In ahndungsvoller Liebesluſt, Der Greis erfriſcht die alten Glieder Und duͤnkt ſich in der Kindheit wieder, Und jedermann fuͤhlt freudenſchwanger Den dunkeln Wald, den lichten Anger. Du nur willſt ſitzen hier gekauert, In deinen Sorgen eingebauert, Von Schwermuths-Wolken rings umhaͤngt, In Noth und Zweifeln eingeengt? Ich kenne dich nicht wieder ſchier; Hinaus mach' ſtraks dich vor die Thuͤr, Und thu dein menſchlich Angeſicht Hinein in holdes Himmelslicht, Laß nicht die Stirn dir ſo verrunzeln, Der Lippen Friſche ganz verſchrunzeln, Das Auge, das ſonſt Strahlen ſcharf Von ſeinem lichten Bogen warf, Iſt tief hinein zum Haupt geſchmolzen Und ſchießt nur ſchwer' und ſtumpfe Bolzen, Entzweit hat ſich dein Mund mit Lachen Scherz, Kuß ſind ihm wildfremde Sachen, In deiner gelb verſchrumpften Haut Der Kummer ſich im Spiegel ſchaut; Nicht, Creatur, mach' Schand' und Spott, Wer dich geſchaffen, deinem Gott,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/163
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/163>, abgerufen am 21.11.2024.