Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Der blonde Eckbert.
deckte einen ganz kleinen Tisch und trug das Abend-
essen auf. Jetzt sah sie sich nach mir um, und hieß
mir einen von den geflochtenen Rohrstühlen neh-
men. So saß ich ihr nun dicht gegenüber und das
Licht stand zwischen uns. Sie faltete ihre knöcher-
nen Hände und betete laut, indem sie ihre Ge-
sichtsverzerrungen machte, so daß es mich beinahe
wieder zum Lachen gebracht hätte; aber ich nahm
mich sehr in Acht, um sie nicht boshaft zu machen.

Nach dem Abendessen betete sie wieder, und
dann wies sie mir in einer niedrigen und engen
Kammer ein Bett an; sie schlief in der Stube.
Ich blieb nicht lange munter, ich war halb betäubt,
aber in der Nacht wachte ich einigemal auf, und
dann hörte ich die Alte husten und mit dem Hunde
sprechen, und den Vogel dazwischen, der im Traum
zu seyn schien, und immer nur einzelne Worte von
seinem Liede sang. Das machte mit den Birken,
die vor dem Fenster rauschten, und mit dem Ge-
sang einer entfernten Nachtigall ein so wunderba-
res Gemisch, daß es mir immer nicht war, als sey
ich erwacht, sondern als fiele ich nur in einen andern
noch seltsamern Traum.

Am Morgen weckte mich die Alte, und wies
mich bald nachher zur Arbeit an. Ich mußte spin-
nen, und ich begriff es nun auch bald, dabei hatte
ich noch für den Hund und für den Vogel zu sor-
gen. Ich lernte mich schnell in die Wirthschaft
finden, und alle Gegenstände umher wurden mir
bekannt; nun war mir, als müßte alles so seyn,
ich dachte gar nicht mehr daran, daß die Alte etwas

Der blonde Eckbert.
deckte einen ganz kleinen Tiſch und trug das Abend-
eſſen auf. Jetzt ſah ſie ſich nach mir um, und hieß
mir einen von den geflochtenen Rohrſtuͤhlen neh-
men. So ſaß ich ihr nun dicht gegenuͤber und das
Licht ſtand zwiſchen uns. Sie faltete ihre knoͤcher-
nen Haͤnde und betete laut, indem ſie ihre Ge-
ſichtsverzerrungen machte, ſo daß es mich beinahe
wieder zum Lachen gebracht haͤtte; aber ich nahm
mich ſehr in Acht, um ſie nicht boshaft zu machen.

Nach dem Abendeſſen betete ſie wieder, und
dann wies ſie mir in einer niedrigen und engen
Kammer ein Bett an; ſie ſchlief in der Stube.
Ich blieb nicht lange munter, ich war halb betaͤubt,
aber in der Nacht wachte ich einigemal auf, und
dann hoͤrte ich die Alte huſten und mit dem Hunde
ſprechen, und den Vogel dazwiſchen, der im Traum
zu ſeyn ſchien, und immer nur einzelne Worte von
ſeinem Liede ſang. Das machte mit den Birken,
die vor dem Fenſter rauſchten, und mit dem Ge-
ſang einer entfernten Nachtigall ein ſo wunderba-
res Gemiſch, daß es mir immer nicht war, als ſey
ich erwacht, ſondern als fiele ich nur in einen andern
noch ſeltſamern Traum.

Am Morgen weckte mich die Alte, und wies
mich bald nachher zur Arbeit an. Ich mußte ſpin-
nen, und ich begriff es nun auch bald, dabei hatte
ich noch fuͤr den Hund und fuͤr den Vogel zu ſor-
gen. Ich lernte mich ſchnell in die Wirthſchaft
finden, und alle Gegenſtaͤnde umher wurden mir
bekannt; nun war mir, als muͤßte alles ſo ſeyn,
ich dachte gar nicht mehr daran, daß die Alte etwas

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0186" n="175"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der blonde Eckbert</hi>.</fw><lb/>
deckte einen ganz kleinen Ti&#x017F;ch und trug das Abend-<lb/>
e&#x017F;&#x017F;en auf. Jetzt &#x017F;ah &#x017F;ie &#x017F;ich nach mir um, und hieß<lb/>
mir einen von den geflochtenen Rohr&#x017F;tu&#x0364;hlen neh-<lb/>
men. So &#x017F;aß ich ihr nun dicht gegenu&#x0364;ber und das<lb/>
Licht &#x017F;tand zwi&#x017F;chen uns. Sie faltete ihre kno&#x0364;cher-<lb/>
nen Ha&#x0364;nde und betete laut, indem &#x017F;ie ihre Ge-<lb/>
&#x017F;ichtsverzerrungen machte, &#x017F;o daß es mich beinahe<lb/>
wieder zum Lachen gebracht ha&#x0364;tte; aber ich nahm<lb/>
mich &#x017F;ehr in Acht, um &#x017F;ie nicht boshaft zu machen.</p><lb/>
          <p>Nach dem Abende&#x017F;&#x017F;en betete &#x017F;ie wieder, und<lb/>
dann wies &#x017F;ie mir in einer niedrigen und engen<lb/>
Kammer ein Bett an; &#x017F;ie &#x017F;chlief in der Stube.<lb/>
Ich blieb nicht lange munter, ich war halb beta&#x0364;ubt,<lb/>
aber in der Nacht wachte ich einigemal auf, und<lb/>
dann ho&#x0364;rte ich die Alte hu&#x017F;ten und mit dem Hunde<lb/>
&#x017F;prechen, und den Vogel dazwi&#x017F;chen, der im Traum<lb/>
zu &#x017F;eyn &#x017F;chien, und immer nur einzelne Worte von<lb/>
&#x017F;einem Liede &#x017F;ang. Das machte mit den Birken,<lb/>
die vor dem Fen&#x017F;ter rau&#x017F;chten, und mit dem Ge-<lb/>
&#x017F;ang einer entfernten Nachtigall ein &#x017F;o wunderba-<lb/>
res Gemi&#x017F;ch, daß es mir immer nicht war, als &#x017F;ey<lb/>
ich erwacht, &#x017F;ondern als fiele ich nur in einen andern<lb/>
noch &#x017F;elt&#x017F;amern Traum.</p><lb/>
          <p>Am Morgen weckte mich die Alte, und wies<lb/>
mich bald nachher zur Arbeit an. Ich mußte &#x017F;pin-<lb/>
nen, und ich begriff es nun auch bald, dabei hatte<lb/>
ich noch fu&#x0364;r den Hund und fu&#x0364;r den Vogel zu &#x017F;or-<lb/>
gen. Ich lernte mich &#x017F;chnell in die Wirth&#x017F;chaft<lb/>
finden, und alle Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde umher wurden mir<lb/>
bekannt; nun war mir, als mu&#x0364;ßte alles &#x017F;o &#x017F;eyn,<lb/>
ich dachte gar nicht mehr daran, daß die Alte etwas<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[175/0186] Der blonde Eckbert. deckte einen ganz kleinen Tiſch und trug das Abend- eſſen auf. Jetzt ſah ſie ſich nach mir um, und hieß mir einen von den geflochtenen Rohrſtuͤhlen neh- men. So ſaß ich ihr nun dicht gegenuͤber und das Licht ſtand zwiſchen uns. Sie faltete ihre knoͤcher- nen Haͤnde und betete laut, indem ſie ihre Ge- ſichtsverzerrungen machte, ſo daß es mich beinahe wieder zum Lachen gebracht haͤtte; aber ich nahm mich ſehr in Acht, um ſie nicht boshaft zu machen. Nach dem Abendeſſen betete ſie wieder, und dann wies ſie mir in einer niedrigen und engen Kammer ein Bett an; ſie ſchlief in der Stube. Ich blieb nicht lange munter, ich war halb betaͤubt, aber in der Nacht wachte ich einigemal auf, und dann hoͤrte ich die Alte huſten und mit dem Hunde ſprechen, und den Vogel dazwiſchen, der im Traum zu ſeyn ſchien, und immer nur einzelne Worte von ſeinem Liede ſang. Das machte mit den Birken, die vor dem Fenſter rauſchten, und mit dem Ge- ſang einer entfernten Nachtigall ein ſo wunderba- res Gemiſch, daß es mir immer nicht war, als ſey ich erwacht, ſondern als fiele ich nur in einen andern noch ſeltſamern Traum. Am Morgen weckte mich die Alte, und wies mich bald nachher zur Arbeit an. Ich mußte ſpin- nen, und ich begriff es nun auch bald, dabei hatte ich noch fuͤr den Hund und fuͤr den Vogel zu ſor- gen. Ich lernte mich ſchnell in die Wirthſchaft finden, und alle Gegenſtaͤnde umher wurden mir bekannt; nun war mir, als muͤßte alles ſo ſeyn, ich dachte gar nicht mehr daran, daß die Alte etwas

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/186
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/186>, abgerufen am 21.11.2024.