Mir geschieht kein Leid, Hier wohnt kein Neid, Von neuem mich freut Waldeinsamkeit.
Jetzt war es um das Bewußtseyn, um die Sinne Eckberts geschehn; er konnte sich nicht aus dem Räthsel heraus finden, ob er jetzt träume, oder ehemals von einem Weibe Bertha geträumt habe; das Wunderbarste vermischte sich mit dem Gewöhnlichsten, die Welt um ihn her war verzau- bert, und er keines Gedankens, keiner Erinnerung mächtig.
Eine krummgebückte Alte schlich hustend mit einer Krücke den Hügel heran. Bringst du mir meinen Vogel? Meine Perlen? Meinen Hund? schrie sie ihm entgegen. Siehe, das Unrecht bestraft sich selbst: Niemand als ich war dein Freund Walther, dein Hugo. --
Gott im Himmel! sagte Eckbert stille vor sich hin, -- in welcher entsetzlichen Einsamkeit hab' ich dann mein Leben hingebracht! --
Und Bertha war deine Schwester.
Eckbert fiel zu Boden.
Warum verließ sie mich tückisch? Sonst hätte sich alles gut und schön geendet, ihre Probezeit war ja schon vorüber. Sie war die Tochter eines Ritters, die er bei einem Hirten erziehn ließ, die Tochter deines Vaters.
Warum hab' ich diesen schrecklichen Gedanken immer geahndet? rief Eckbert aus.
Weil du in früher Jugend deinen Vater einst
davon
Erſte Abtheilung.
Mir geſchieht kein Leid, Hier wohnt kein Neid, Von neuem mich freut Waldeinſamkeit.
Jetzt war es um das Bewußtſeyn, um die Sinne Eckberts geſchehn; er konnte ſich nicht aus dem Raͤthſel heraus finden, ob er jetzt traͤume, oder ehemals von einem Weibe Bertha getraͤumt habe; das Wunderbarſte vermiſchte ſich mit dem Gewoͤhnlichſten, die Welt um ihn her war verzau- bert, und er keines Gedankens, keiner Erinnerung maͤchtig.
Eine krummgebuͤckte Alte ſchlich huſtend mit einer Kruͤcke den Huͤgel heran. Bringſt du mir meinen Vogel? Meine Perlen? Meinen Hund? ſchrie ſie ihm entgegen. Siehe, das Unrecht beſtraft ſich ſelbſt: Niemand als ich war dein Freund Walther, dein Hugo. —
Gott im Himmel! ſagte Eckbert ſtille vor ſich hin, — in welcher entſetzlichen Einſamkeit hab' ich dann mein Leben hingebracht! —
Und Bertha war deine Schweſter.
Eckbert fiel zu Boden.
Warum verließ ſie mich tuͤckiſch? Sonſt haͤtte ſich alles gut und ſchoͤn geendet, ihre Probezeit war ja ſchon voruͤber. Sie war die Tochter eines Ritters, die er bei einem Hirten erziehn ließ, die Tochter deines Vaters.
Warum hab' ich dieſen ſchrecklichen Gedanken immer geahndet? rief Eckbert aus.
Weil du in fruͤher Jugend deinen Vater einſt
davon
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><lgtype="poem"><pbfacs="#f0203"n="192"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erſte Abtheilung</hi>.</fw><lb/><l>Mir geſchieht kein Leid,</l><lb/><l>Hier wohnt kein Neid,</l><lb/><l>Von neuem mich freut</l><lb/><l>Waldeinſamkeit.</l></lg><lb/><p>Jetzt war es um das Bewußtſeyn, um die<lb/>
Sinne Eckberts geſchehn; er konnte ſich nicht aus<lb/>
dem Raͤthſel heraus finden, ob er jetzt traͤume,<lb/>
oder ehemals von einem Weibe Bertha getraͤumt<lb/>
habe; das Wunderbarſte vermiſchte ſich mit dem<lb/>
Gewoͤhnlichſten, die Welt um ihn her war verzau-<lb/>
bert, und er keines Gedankens, keiner Erinnerung<lb/>
maͤchtig.</p><lb/><p>Eine krummgebuͤckte Alte ſchlich huſtend mit einer<lb/>
Kruͤcke den Huͤgel heran. Bringſt du mir meinen<lb/>
Vogel? Meine Perlen? Meinen Hund? ſchrie ſie<lb/>
ihm entgegen. Siehe, das Unrecht beſtraft ſich<lb/>ſelbſt: Niemand als ich war dein Freund Walther,<lb/>
dein Hugo. —</p><lb/><p>Gott im Himmel! ſagte Eckbert ſtille vor ſich<lb/>
hin, — in welcher entſetzlichen Einſamkeit hab' ich<lb/>
dann mein Leben hingebracht! —</p><lb/><p>Und Bertha war deine Schweſter.</p><lb/><p>Eckbert fiel zu Boden.</p><lb/><p>Warum verließ ſie mich tuͤckiſch? Sonſt haͤtte<lb/>ſich alles gut und ſchoͤn geendet, ihre Probezeit<lb/>
war ja ſchon voruͤber. Sie war die Tochter eines<lb/>
Ritters, die er bei einem Hirten erziehn ließ, die<lb/>
Tochter deines Vaters.</p><lb/><p>Warum hab' ich dieſen ſchrecklichen Gedanken<lb/>
immer geahndet? rief Eckbert aus.</p><lb/><p>Weil du in fruͤher Jugend deinen Vater einſt<lb/><fwplace="bottom"type="catch">davon</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[192/0203]
Erſte Abtheilung.
Mir geſchieht kein Leid,
Hier wohnt kein Neid,
Von neuem mich freut
Waldeinſamkeit.
Jetzt war es um das Bewußtſeyn, um die
Sinne Eckberts geſchehn; er konnte ſich nicht aus
dem Raͤthſel heraus finden, ob er jetzt traͤume,
oder ehemals von einem Weibe Bertha getraͤumt
habe; das Wunderbarſte vermiſchte ſich mit dem
Gewoͤhnlichſten, die Welt um ihn her war verzau-
bert, und er keines Gedankens, keiner Erinnerung
maͤchtig.
Eine krummgebuͤckte Alte ſchlich huſtend mit einer
Kruͤcke den Huͤgel heran. Bringſt du mir meinen
Vogel? Meine Perlen? Meinen Hund? ſchrie ſie
ihm entgegen. Siehe, das Unrecht beſtraft ſich
ſelbſt: Niemand als ich war dein Freund Walther,
dein Hugo. —
Gott im Himmel! ſagte Eckbert ſtille vor ſich
hin, — in welcher entſetzlichen Einſamkeit hab' ich
dann mein Leben hingebracht! —
Und Bertha war deine Schweſter.
Eckbert fiel zu Boden.
Warum verließ ſie mich tuͤckiſch? Sonſt haͤtte
ſich alles gut und ſchoͤn geendet, ihre Probezeit
war ja ſchon voruͤber. Sie war die Tochter eines
Ritters, die er bei einem Hirten erziehn ließ, die
Tochter deines Vaters.
Warum hab' ich dieſen ſchrecklichen Gedanken
immer geahndet? rief Eckbert aus.
Weil du in fruͤher Jugend deinen Vater einſt
davon
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/203>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.