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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
möchte ich lieber eine Scene in "Wie es Euch
gefällt" geschrieben haben, als die Novelle er-
funden, aus welcher dies Lustspiel entsprungen
ist. Der Erzähler kann seinen Gegenstand, wenn
dieser interessant ist, schmücken und erheben, sei-
nen Geschmack und seine Kunst in der Umbil-
dung beweisen, ich frage aber immer gern: wer
hat diese Sache zuerst ersonnen, falls sie sich
nicht wirklich zugetragen hat?

Ich gebe Ihnen gern Recht, sagte Ernst,
und um so lieber, weil ich Ihnen mit meinem
Gedichte dann etwas dreister nahen darf, weil
ich es wenigstens für eigene Erfindung ausge-
ben kann. In sofern freilich nicht, als die
Vorstellung vom verzauberten Berge der Venus
im Mittelalter allgemein verbreitet war, aber
das Gedicht vom Tannenhäuser hatte ich, da-
mals so wie jetzt, noch nicht gelesen, eben so
wenig kannte ich damals die Niebelungen, son-
dern nur das Heldenbuch, in dessen Vorrede ein
getreuer Eckart erwähnt wird, der die jungen
Harlungen beschützt, und der nachher beim Hans
Sachs und andern Dichtern oftmals sprichwört-
lich vorkömmt, und immer vor dem Berge der
Venus Wache hält. Aus diesen allgemeinen,
unbestimmten Vorstellungen in welche ich noch
die Sage von dem berüchtigten Rattenfänger von
Hameln aufgenommen und verkleidet habe, ist
folgendes Gedicht entstanden.


Erſte Abtheilung.
moͤchte ich lieber eine Scene in „Wie es Euch
gefaͤllt“ geſchrieben haben, als die Novelle er-
funden, aus welcher dies Luſtſpiel entſprungen
iſt. Der Erzaͤhler kann ſeinen Gegenſtand, wenn
dieſer intereſſant iſt, ſchmuͤcken und erheben, ſei-
nen Geſchmack und ſeine Kunſt in der Umbil-
dung beweiſen, ich frage aber immer gern: wer
hat dieſe Sache zuerſt erſonnen, falls ſie ſich
nicht wirklich zugetragen hat?

Ich gebe Ihnen gern Recht, ſagte Ernſt,
und um ſo lieber, weil ich Ihnen mit meinem
Gedichte dann etwas dreiſter nahen darf, weil
ich es wenigſtens fuͤr eigene Erfindung ausge-
ben kann. In ſofern freilich nicht, als die
Vorſtellung vom verzauberten Berge der Venus
im Mittelalter allgemein verbreitet war, aber
das Gedicht vom Tannenhaͤuſer hatte ich, da-
mals ſo wie jetzt, noch nicht geleſen, eben ſo
wenig kannte ich damals die Niebelungen, ſon-
dern nur das Heldenbuch, in deſſen Vorrede ein
getreuer Eckart erwaͤhnt wird, der die jungen
Harlungen beſchuͤtzt, und der nachher beim Hans
Sachs und andern Dichtern oftmals ſprichwoͤrt-
lich vorkoͤmmt, und immer vor dem Berge der
Venus Wache haͤlt. Aus dieſen allgemeinen,
unbeſtimmten Vorſtellungen in welche ich noch
die Sage von dem beruͤchtigten Rattenfaͤnger von
Hameln aufgenommen und verkleidet habe, iſt
folgendes Gedicht entſtanden.


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[195/0206] Erſte Abtheilung. moͤchte ich lieber eine Scene in „Wie es Euch gefaͤllt“ geſchrieben haben, als die Novelle er- funden, aus welcher dies Luſtſpiel entſprungen iſt. Der Erzaͤhler kann ſeinen Gegenſtand, wenn dieſer intereſſant iſt, ſchmuͤcken und erheben, ſei- nen Geſchmack und ſeine Kunſt in der Umbil- dung beweiſen, ich frage aber immer gern: wer hat dieſe Sache zuerſt erſonnen, falls ſie ſich nicht wirklich zugetragen hat? Ich gebe Ihnen gern Recht, ſagte Ernſt, und um ſo lieber, weil ich Ihnen mit meinem Gedichte dann etwas dreiſter nahen darf, weil ich es wenigſtens fuͤr eigene Erfindung ausge- ben kann. In ſofern freilich nicht, als die Vorſtellung vom verzauberten Berge der Venus im Mittelalter allgemein verbreitet war, aber das Gedicht vom Tannenhaͤuſer hatte ich, da- mals ſo wie jetzt, noch nicht geleſen, eben ſo wenig kannte ich damals die Niebelungen, ſon- dern nur das Heldenbuch, in deſſen Vorrede ein getreuer Eckart erwaͤhnt wird, der die jungen Harlungen beſchuͤtzt, und der nachher beim Hans Sachs und andern Dichtern oftmals ſprichwoͤrt- lich vorkoͤmmt, und immer vor dem Berge der Venus Wache haͤlt. Aus dieſen allgemeinen, unbeſtimmten Vorſtellungen in welche ich noch die Sage von dem beruͤchtigten Rattenfaͤnger von Hameln aufgenommen und verkleidet habe, iſt folgendes Gedicht entſtanden.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/206>, abgerufen am 21.11.2024.