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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
Alte, mit seiner jammernden Stimme, denn sie sind
nicht todt, aber ewig für mich verloren. O wollte
der Himmel, daß sie nur gestorben wären!

Der Held erschrack über diese seltsamen Worte,
und bat den Greis, ihm dieses Räthsel aufzulö-
sen, worauf jener sagte: Wir leben wahrlich in
einer wunderbarlichen Zeit, die wohl die letzten
Tage bald herbei führen wird, denn die erschreck-
lichsten Zeichen fallen dräuend in die Weit herein.
Alles Unheil macht sich von den alten Ketten los,
und streift nun frank und frei herum; die Furcht
Gottes versiegt und verrinnt, und findet kein
Strombett, in das sie sich sammeln möchte, und
die bösen Kräfte stehn kecklich in ihren Winkeln
auf, und feyern ihren Triumph. O mein lieber
Herr, wir sind alt geworden, aber für dergleichen
Wundergeschichten noch nicht alt genug. Ihr wer-
det ohne Zweifel den Cometen gesehen haben, die-
ses wunderbare Himmelslicht, das so prophetisch
hernieder scheint; alle Weit weissagt Uebles, und
keiner denkt daran, mit sich selbst die Besserung
anzusahn und so die Ruthe abzuwenden. Dies ist
nicht genug, sondern aus der Erde thun sich Wun-
derwerke hervor und brechen geheimnißvoll von un-
ten herauf, wie das Licht schrecklich von oben her-
niederscheint. Habt Ihr niemals von dem Berge
gehört, den die Leute nur den Berg der Venus
nennen?

Niemalen, sagte Eckart, so weit ich auch her-
um gekommen bin.

Darüber muß ich mich verwundern, sagte der

Erſte Abtheilung.
Alte, mit ſeiner jammernden Stimme, denn ſie ſind
nicht todt, aber ewig fuͤr mich verloren. O wollte
der Himmel, daß ſie nur geſtorben waͤren!

Der Held erſchrack uͤber dieſe ſeltſamen Worte,
und bat den Greis, ihm dieſes Raͤthſel aufzuloͤ-
ſen, worauf jener ſagte: Wir leben wahrlich in
einer wunderbarlichen Zeit, die wohl die letzten
Tage bald herbei fuͤhren wird, denn die erſchreck-
lichſten Zeichen fallen draͤuend in die Weit herein.
Alles Unheil macht ſich von den alten Ketten los,
und ſtreift nun frank und frei herum; die Furcht
Gottes verſiegt und verrinnt, und findet kein
Strombett, in das ſie ſich ſammeln moͤchte, und
die boͤſen Kraͤfte ſtehn kecklich in ihren Winkeln
auf, und feyern ihren Triumph. O mein lieber
Herr, wir ſind alt geworden, aber fuͤr dergleichen
Wundergeſchichten noch nicht alt genug. Ihr wer-
det ohne Zweifel den Cometen geſehen haben, die-
ſes wunderbare Himmelslicht, das ſo prophetiſch
hernieder ſcheint; alle Weit weiſſagt Uebles, und
keiner denkt daran, mit ſich ſelbſt die Beſſerung
anzuſahn und ſo die Ruthe abzuwenden. Dies iſt
nicht genug, ſondern aus der Erde thun ſich Wun-
derwerke hervor und brechen geheimnißvoll von un-
ten herauf, wie das Licht ſchrecklich von oben her-
niederſcheint. Habt Ihr niemals von dem Berge
gehoͤrt, den die Leute nur den Berg der Venus
nennen?

Niemalen, ſagte Eckart, ſo weit ich auch her-
um gekommen bin.

Daruͤber muß ich mich verwundern, ſagte der

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[204/0215] Erſte Abtheilung. Alte, mit ſeiner jammernden Stimme, denn ſie ſind nicht todt, aber ewig fuͤr mich verloren. O wollte der Himmel, daß ſie nur geſtorben waͤren! Der Held erſchrack uͤber dieſe ſeltſamen Worte, und bat den Greis, ihm dieſes Raͤthſel aufzuloͤ- ſen, worauf jener ſagte: Wir leben wahrlich in einer wunderbarlichen Zeit, die wohl die letzten Tage bald herbei fuͤhren wird, denn die erſchreck- lichſten Zeichen fallen draͤuend in die Weit herein. Alles Unheil macht ſich von den alten Ketten los, und ſtreift nun frank und frei herum; die Furcht Gottes verſiegt und verrinnt, und findet kein Strombett, in das ſie ſich ſammeln moͤchte, und die boͤſen Kraͤfte ſtehn kecklich in ihren Winkeln auf, und feyern ihren Triumph. O mein lieber Herr, wir ſind alt geworden, aber fuͤr dergleichen Wundergeſchichten noch nicht alt genug. Ihr wer- det ohne Zweifel den Cometen geſehen haben, die- ſes wunderbare Himmelslicht, das ſo prophetiſch hernieder ſcheint; alle Weit weiſſagt Uebles, und keiner denkt daran, mit ſich ſelbſt die Beſſerung anzuſahn und ſo die Ruthe abzuwenden. Dies iſt nicht genug, ſondern aus der Erde thun ſich Wun- derwerke hervor und brechen geheimnißvoll von un- ten herauf, wie das Licht ſchrecklich von oben her- niederſcheint. Habt Ihr niemals von dem Berge gehoͤrt, den die Leute nur den Berg der Venus nennen? Niemalen, ſagte Eckart, ſo weit ich auch her- um gekommen bin. Daruͤber muß ich mich verwundern, ſagte der

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/215>, abgerufen am 24.11.2024.