kannten sie ihn, aber keiner wagte Hand an ihn zu legen, oder ihm ein hartes Wort zu sagen, son- dern sie wurden aus Ehrerbietung stumm, umga- ben ihn in Verwunderung, und gingen dann ihres Weges. Einen von den Knechten rief er zurück, und fragte ihn: Wo ist mein Sohn Conrad? O fragt mich nicht, sagte der Knecht, denn es würde euch doch nur Jammer und Wehklagen erregen. Und Dietrich? rief der Vater. Nennt ihre Na- men nicht mehr, sprach der alte Knecht, denn sie sind dahin, der Zorn des Herrn war gegen sie ent- brannt, er gedachte Euch in ihnen zu strafen.
Ein heißer Zorn stieg in Eckarts Gemüth auf, und er war vor Schmerz und Wuth sein selber nicht mehr mächtig. Er spornte sein Roß mit al- ler Gewalt und ritt in das Burgthor hinein. Alle traten ihm mit scheuer Ehrfurcht aus dem Wege, und so ritt er vor den Pallast. Er schwang sich vom Rosse und ging mit wankenden Schritten die großen Stiegen hinan. Bin ich hier in der Woh- nung des Mannes, sagte er zu sich selber, der sonst mein Freund war? Er wollte seine Gedanken sam- meln, aber immer wildere Gestalten bewegten sich vor seinen Augen, und so trat er in das Gemach des Fürsten.
Der Herzog von Burgund war sich seiner nicht gewärtig, und erschrack heftig, als er den Eckart vor sich sah. Bist du der Herzog von Bur- gund? redete dieser ihn an. Worauf der Herzog mit Ja antwortete. Und du hast meinen Sohn
Der getreue Eckart.
kannten ſie ihn, aber keiner wagte Hand an ihn zu legen, oder ihm ein hartes Wort zu ſagen, ſon- dern ſie wurden aus Ehrerbietung ſtumm, umga- ben ihn in Verwunderung, und gingen dann ihres Weges. Einen von den Knechten rief er zuruͤck, und fragte ihn: Wo iſt mein Sohn Conrad? O fragt mich nicht, ſagte der Knecht, denn es wuͤrde euch doch nur Jammer und Wehklagen erregen. Und Dietrich? rief der Vater. Nennt ihre Na- men nicht mehr, ſprach der alte Knecht, denn ſie ſind dahin, der Zorn des Herrn war gegen ſie ent- brannt, er gedachte Euch in ihnen zu ſtrafen.
Ein heißer Zorn ſtieg in Eckarts Gemuͤth auf, und er war vor Schmerz und Wuth ſein ſelber nicht mehr maͤchtig. Er ſpornte ſein Roß mit al- ler Gewalt und ritt in das Burgthor hinein. Alle traten ihm mit ſcheuer Ehrfurcht aus dem Wege, und ſo ritt er vor den Pallaſt. Er ſchwang ſich vom Roſſe und ging mit wankenden Schritten die großen Stiegen hinan. Bin ich hier in der Woh- nung des Mannes, ſagte er zu ſich ſelber, der ſonſt mein Freund war? Er wollte ſeine Gedanken ſam- meln, aber immer wildere Geſtalten bewegten ſich vor ſeinen Augen, und ſo trat er in das Gemach des Fuͤrſten.
Der Herzog von Burgund war ſich ſeiner nicht gewaͤrtig, und erſchrack heftig, als er den Eckart vor ſich ſah. Biſt du der Herzog von Bur- gund? redete dieſer ihn an. Worauf der Herzog mit Ja antwortete. Und du haſt meinen Sohn
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Der getreue Eckart.
kannten ſie ihn, aber keiner wagte Hand an ihn
zu legen, oder ihm ein hartes Wort zu ſagen, ſon-
dern ſie wurden aus Ehrerbietung ſtumm, umga-
ben ihn in Verwunderung, und gingen dann ihres
Weges. Einen von den Knechten rief er zuruͤck,
und fragte ihn: Wo iſt mein Sohn Conrad? O
fragt mich nicht, ſagte der Knecht, denn es wuͤrde
euch doch nur Jammer und Wehklagen erregen.
Und Dietrich? rief der Vater. Nennt ihre Na-
men nicht mehr, ſprach der alte Knecht, denn ſie
ſind dahin, der Zorn des Herrn war gegen ſie ent-
brannt, er gedachte Euch in ihnen zu ſtrafen.
Ein heißer Zorn ſtieg in Eckarts Gemuͤth auf,
und er war vor Schmerz und Wuth ſein ſelber
nicht mehr maͤchtig. Er ſpornte ſein Roß mit al-
ler Gewalt und ritt in das Burgthor hinein. Alle
traten ihm mit ſcheuer Ehrfurcht aus dem Wege,
und ſo ritt er vor den Pallaſt. Er ſchwang ſich
vom Roſſe und ging mit wankenden Schritten die
großen Stiegen hinan. Bin ich hier in der Woh-
nung des Mannes, ſagte er zu ſich ſelber, der ſonſt
mein Freund war? Er wollte ſeine Gedanken ſam-
meln, aber immer wildere Geſtalten bewegten ſich
vor ſeinen Augen, und ſo trat er in das Gemach
des Fuͤrſten.
Der Herzog von Burgund war ſich ſeiner
nicht gewaͤrtig, und erſchrack heftig, als er den
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/218>, abgerufen am 21.11.2024.
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