Niemand in der Gegend wußte, wohin sich der Eckart gewendet, denn er hatte sich in die wü- sten Waldungen hinein verirrt, und vor keinem Menschen ließ er sich sehen. Der Herzog fürch- tete seinen Sinn, und es gereute ihn nun, daß er ihn von sich gelassen, ohne ihn zu fangen. Da- rum machte er sich an einem Morgen auf, mit einem großen Zuge von Jägern und anderm Ge- folge, um die Wälder zu durchstreifen und den Eckart aufzusuchen, denn er meinte, daß dessen Tod nur ihn völlig sicher stellte. Alle waren un- ermüdet, und ließen sich den Eifer nicht verdrießen, aber die Sonne war schon untergegangen, ohne daß sie von Eckart eine Spur angetroffen hätten.
Ein Sturm brach herein, und große Wolken flogen sausend über dem Walde hin, der Donner rollte, und Blitze fuhren in die hohen Eichen; von einem ungestümen Schrecken wurden alle angefaßt, und einzeln in den Gebüschen und auf den Fluren zerstreut. Das Roß des Herzogs rannte in das Dickicht hinein, sein Knappe vermochte nicht, ihm zu folgen; das edle Roß stürzte nieder, und der Burgund rief im Gewitter vergeblich nach seinen Dienern, denn es war keiner, der ihn hören mochte.
Wie ein wildes Thier war Eckart umher ge- irrt, ohne von sich, von seinem Unglücke etwas zu wissen, er hatte sich selber verloren und in dumpfer Betäubung seinen Hunger mit Kräutern und Wurzeln gesättigt; unkenntlich wäre der Held jetzt jedem seiner Freunde gewesen, so hatten ihn
Erſte Abtheilung.
Niemand in der Gegend wußte, wohin ſich der Eckart gewendet, denn er hatte ſich in die wuͤ- ſten Waldungen hinein verirrt, und vor keinem Menſchen ließ er ſich ſehen. Der Herzog fuͤrch- tete ſeinen Sinn, und es gereute ihn nun, daß er ihn von ſich gelaſſen, ohne ihn zu fangen. Da- rum machte er ſich an einem Morgen auf, mit einem großen Zuge von Jaͤgern und anderm Ge- folge, um die Waͤlder zu durchſtreifen und den Eckart aufzuſuchen, denn er meinte, daß deſſen Tod nur ihn voͤllig ſicher ſtellte. Alle waren un- ermuͤdet, und ließen ſich den Eifer nicht verdrießen, aber die Sonne war ſchon untergegangen, ohne daß ſie von Eckart eine Spur angetroffen haͤtten.
Ein Sturm brach herein, und große Wolken flogen ſauſend uͤber dem Walde hin, der Donner rollte, und Blitze fuhren in die hohen Eichen; von einem ungeſtuͤmen Schrecken wurden alle angefaßt, und einzeln in den Gebuͤſchen und auf den Fluren zerſtreut. Das Roß des Herzogs rannte in das Dickicht hinein, ſein Knappe vermochte nicht, ihm zu folgen; das edle Roß ſtuͤrzte nieder, und der Burgund rief im Gewitter vergeblich nach ſeinen Dienern, denn es war keiner, der ihn hoͤren mochte.
Wie ein wildes Thier war Eckart umher ge- irrt, ohne von ſich, von ſeinem Ungluͤcke etwas zu wiſſen, er hatte ſich ſelber verloren und in dumpfer Betaͤubung ſeinen Hunger mit Kraͤutern und Wurzeln geſaͤttigt; unkenntlich waͤre der Held jetzt jedem ſeiner Freunde geweſen, ſo hatten ihn
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Erſte Abtheilung.
Niemand in der Gegend wußte, wohin ſich
der Eckart gewendet, denn er hatte ſich in die wuͤ-
ſten Waldungen hinein verirrt, und vor keinem
Menſchen ließ er ſich ſehen. Der Herzog fuͤrch-
tete ſeinen Sinn, und es gereute ihn nun, daß
er ihn von ſich gelaſſen, ohne ihn zu fangen. Da-
rum machte er ſich an einem Morgen auf, mit
einem großen Zuge von Jaͤgern und anderm Ge-
folge, um die Waͤlder zu durchſtreifen und den
Eckart aufzuſuchen, denn er meinte, daß deſſen
Tod nur ihn voͤllig ſicher ſtellte. Alle waren un-
ermuͤdet, und ließen ſich den Eifer nicht verdrießen,
aber die Sonne war ſchon untergegangen, ohne daß
ſie von Eckart eine Spur angetroffen haͤtten.
Ein Sturm brach herein, und große Wolken
flogen ſauſend uͤber dem Walde hin, der Donner
rollte, und Blitze fuhren in die hohen Eichen; von
einem ungeſtuͤmen Schrecken wurden alle angefaßt,
und einzeln in den Gebuͤſchen und auf den Fluren
zerſtreut. Das Roß des Herzogs rannte in das
Dickicht hinein, ſein Knappe vermochte nicht, ihm
zu folgen; das edle Roß ſtuͤrzte nieder, und der
Burgund rief im Gewitter vergeblich nach ſeinen
Dienern, denn es war keiner, der ihn hoͤren
mochte.
Wie ein wildes Thier war Eckart umher ge-
irrt, ohne von ſich, von ſeinem Ungluͤcke etwas
zu wiſſen, er hatte ſich ſelber verloren und in
dumpfer Betaͤubung ſeinen Hunger mit Kraͤutern
und Wurzeln geſaͤttigt; unkenntlich waͤre der Held
jetzt jedem ſeiner Freunde geweſen, ſo hatten ihn
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/221>, abgerufen am 21.11.2024.
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