Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Erste Abtheilung.

Niemand in der Gegend wußte, wohin sich
der Eckart gewendet, denn er hatte sich in die wü-
sten Waldungen hinein verirrt, und vor keinem
Menschen ließ er sich sehen. Der Herzog fürch-
tete seinen Sinn, und es gereute ihn nun, daß
er ihn von sich gelassen, ohne ihn zu fangen. Da-
rum machte er sich an einem Morgen auf, mit
einem großen Zuge von Jägern und anderm Ge-
folge, um die Wälder zu durchstreifen und den
Eckart aufzusuchen, denn er meinte, daß dessen
Tod nur ihn völlig sicher stellte. Alle waren un-
ermüdet, und ließen sich den Eifer nicht verdrießen,
aber die Sonne war schon untergegangen, ohne daß
sie von Eckart eine Spur angetroffen hätten.

Ein Sturm brach herein, und große Wolken
flogen sausend über dem Walde hin, der Donner
rollte, und Blitze fuhren in die hohen Eichen; von
einem ungestümen Schrecken wurden alle angefaßt,
und einzeln in den Gebüschen und auf den Fluren
zerstreut. Das Roß des Herzogs rannte in das
Dickicht hinein, sein Knappe vermochte nicht, ihm
zu folgen; das edle Roß stürzte nieder, und der
Burgund rief im Gewitter vergeblich nach seinen
Dienern, denn es war keiner, der ihn hören
mochte.

Wie ein wildes Thier war Eckart umher ge-
irrt, ohne von sich, von seinem Unglücke etwas
zu wissen, er hatte sich selber verloren und in
dumpfer Betäubung seinen Hunger mit Kräutern
und Wurzeln gesättigt; unkenntlich wäre der Held
jetzt jedem seiner Freunde gewesen, so hatten ihn

Erſte Abtheilung.

Niemand in der Gegend wußte, wohin ſich
der Eckart gewendet, denn er hatte ſich in die wuͤ-
ſten Waldungen hinein verirrt, und vor keinem
Menſchen ließ er ſich ſehen. Der Herzog fuͤrch-
tete ſeinen Sinn, und es gereute ihn nun, daß
er ihn von ſich gelaſſen, ohne ihn zu fangen. Da-
rum machte er ſich an einem Morgen auf, mit
einem großen Zuge von Jaͤgern und anderm Ge-
folge, um die Waͤlder zu durchſtreifen und den
Eckart aufzuſuchen, denn er meinte, daß deſſen
Tod nur ihn voͤllig ſicher ſtellte. Alle waren un-
ermuͤdet, und ließen ſich den Eifer nicht verdrießen,
aber die Sonne war ſchon untergegangen, ohne daß
ſie von Eckart eine Spur angetroffen haͤtten.

Ein Sturm brach herein, und große Wolken
flogen ſauſend uͤber dem Walde hin, der Donner
rollte, und Blitze fuhren in die hohen Eichen; von
einem ungeſtuͤmen Schrecken wurden alle angefaßt,
und einzeln in den Gebuͤſchen und auf den Fluren
zerſtreut. Das Roß des Herzogs rannte in das
Dickicht hinein, ſein Knappe vermochte nicht, ihm
zu folgen; das edle Roß ſtuͤrzte nieder, und der
Burgund rief im Gewitter vergeblich nach ſeinen
Dienern, denn es war keiner, der ihn hoͤren
mochte.

Wie ein wildes Thier war Eckart umher ge-
irrt, ohne von ſich, von ſeinem Ungluͤcke etwas
zu wiſſen, er hatte ſich ſelber verloren und in
dumpfer Betaͤubung ſeinen Hunger mit Kraͤutern
und Wurzeln geſaͤttigt; unkenntlich waͤre der Held
jetzt jedem ſeiner Freunde geweſen, ſo hatten ihn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0221" n="210"/>
            <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
            <p>Niemand in der Gegend wußte, wohin &#x017F;ich<lb/>
der Eckart gewendet, denn er hatte &#x017F;ich in die wu&#x0364;-<lb/>
&#x017F;ten Waldungen hinein verirrt, und vor keinem<lb/>
Men&#x017F;chen ließ er &#x017F;ich &#x017F;ehen. Der Herzog fu&#x0364;rch-<lb/>
tete &#x017F;einen Sinn, und es gereute ihn nun, daß<lb/>
er ihn von &#x017F;ich gela&#x017F;&#x017F;en, ohne ihn zu fangen. Da-<lb/>
rum machte er &#x017F;ich an einem Morgen auf, mit<lb/>
einem großen Zuge von Ja&#x0364;gern und anderm Ge-<lb/>
folge, um die Wa&#x0364;lder zu durch&#x017F;treifen und den<lb/>
Eckart aufzu&#x017F;uchen, denn er meinte, daß de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Tod nur ihn vo&#x0364;llig &#x017F;icher &#x017F;tellte. Alle waren un-<lb/>
ermu&#x0364;det, und ließen &#x017F;ich den Eifer nicht verdrießen,<lb/>
aber die Sonne war &#x017F;chon untergegangen, ohne daß<lb/>
&#x017F;ie von Eckart eine Spur angetroffen ha&#x0364;tten.</p><lb/>
            <p>Ein Sturm brach herein, und große Wolken<lb/>
flogen &#x017F;au&#x017F;end u&#x0364;ber dem Walde hin, der Donner<lb/>
rollte, und Blitze fuhren in die hohen Eichen; von<lb/>
einem unge&#x017F;tu&#x0364;men Schrecken wurden alle angefaßt,<lb/>
und einzeln in den Gebu&#x0364;&#x017F;chen und auf den Fluren<lb/>
zer&#x017F;treut. Das Roß des Herzogs rannte in das<lb/>
Dickicht hinein, &#x017F;ein Knappe vermochte nicht, ihm<lb/>
zu folgen; das edle Roß &#x017F;tu&#x0364;rzte nieder, und der<lb/>
Burgund rief im Gewitter vergeblich nach &#x017F;einen<lb/>
Dienern, denn es war keiner, der ihn ho&#x0364;ren<lb/>
mochte.</p><lb/>
            <p>Wie ein wildes Thier war Eckart umher ge-<lb/>
irrt, ohne von &#x017F;ich, von &#x017F;einem Unglu&#x0364;cke etwas<lb/>
zu wi&#x017F;&#x017F;en, er hatte &#x017F;ich &#x017F;elber verloren und in<lb/>
dumpfer Beta&#x0364;ubung &#x017F;einen Hunger mit Kra&#x0364;utern<lb/>
und Wurzeln ge&#x017F;a&#x0364;ttigt; unkenntlich wa&#x0364;re der Held<lb/>
jetzt jedem &#x017F;einer Freunde gewe&#x017F;en, &#x017F;o hatten ihn<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0221] Erſte Abtheilung. Niemand in der Gegend wußte, wohin ſich der Eckart gewendet, denn er hatte ſich in die wuͤ- ſten Waldungen hinein verirrt, und vor keinem Menſchen ließ er ſich ſehen. Der Herzog fuͤrch- tete ſeinen Sinn, und es gereute ihn nun, daß er ihn von ſich gelaſſen, ohne ihn zu fangen. Da- rum machte er ſich an einem Morgen auf, mit einem großen Zuge von Jaͤgern und anderm Ge- folge, um die Waͤlder zu durchſtreifen und den Eckart aufzuſuchen, denn er meinte, daß deſſen Tod nur ihn voͤllig ſicher ſtellte. Alle waren un- ermuͤdet, und ließen ſich den Eifer nicht verdrießen, aber die Sonne war ſchon untergegangen, ohne daß ſie von Eckart eine Spur angetroffen haͤtten. Ein Sturm brach herein, und große Wolken flogen ſauſend uͤber dem Walde hin, der Donner rollte, und Blitze fuhren in die hohen Eichen; von einem ungeſtuͤmen Schrecken wurden alle angefaßt, und einzeln in den Gebuͤſchen und auf den Fluren zerſtreut. Das Roß des Herzogs rannte in das Dickicht hinein, ſein Knappe vermochte nicht, ihm zu folgen; das edle Roß ſtuͤrzte nieder, und der Burgund rief im Gewitter vergeblich nach ſeinen Dienern, denn es war keiner, der ihn hoͤren mochte. Wie ein wildes Thier war Eckart umher ge- irrt, ohne von ſich, von ſeinem Ungluͤcke etwas zu wiſſen, er hatte ſich ſelber verloren und in dumpfer Betaͤubung ſeinen Hunger mit Kraͤutern und Wurzeln geſaͤttigt; unkenntlich waͤre der Held jetzt jedem ſeiner Freunde geweſen, ſo hatten ihn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/221
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/221>, abgerufen am 21.11.2024.