Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Der getreue Eckart. die Tage seiner Verzweiflung entstellt. Wie derSturm aufbrach, erwachte er aus seiner Betäu- bung, er fand sich in seinen Schmerzen wieder und erkannte sein Unglück. Da erhub er ein lautes Jammergeschrei um seine Kinder, er raufte seine weißen Haare und klagte im Brausen des Stur- mes: Wohin, wohin seid Ihr gekommen, ihr Theile meines Herzens? Und wie ist mir denn so alle Macht genommen, daß ich euren Tod nicht mindestens rächen darf? Warum hielt ich denn meinen Arm zurück, und gab nicht dem den Tod, der meinem Herzen den tödtlichsten Stich zutheilte? Ha, du verdienst es, Wahnsinniger, daß der Ty- rann dich verhöhnt, weil dein unmächtiger Arm, dein blödes Herz nicht dem Mörder widerstrebt! Jetzt, jetzt sollte er so vor mir stehn! Vergeblich wünsch' ich jetzt die Rache, da der Augenblick vorüber ist. So kam die Nacht herauf, und Eckart irrte Der getreue Eckart. die Tage ſeiner Verzweiflung entſtellt. Wie derSturm aufbrach, erwachte er aus ſeiner Betaͤu- bung, er fand ſich in ſeinen Schmerzen wieder und erkannte ſein Ungluͤck. Da erhub er ein lautes Jammergeſchrei um ſeine Kinder, er raufte ſeine weißen Haare und klagte im Brauſen des Stur- mes: Wohin, wohin ſeid Ihr gekommen, ihr Theile meines Herzens? Und wie iſt mir denn ſo alle Macht genommen, daß ich euren Tod nicht mindeſtens raͤchen darf? Warum hielt ich denn meinen Arm zuruͤck, und gab nicht dem den Tod, der meinem Herzen den toͤdtlichſten Stich zutheilte? Ha, du verdienſt es, Wahnſinniger, daß der Ty- rann dich verhoͤhnt, weil dein unmaͤchtiger Arm, dein bloͤdes Herz nicht dem Moͤrder widerſtrebt! Jetzt, jetzt ſollte er ſo vor mir ſtehn! Vergeblich wuͤnſch' ich jetzt die Rache, da der Augenblick voruͤber iſt. So kam die Nacht herauf, und Eckart irrte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0222" n="211"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der getreue Eckart</hi>.</fw><lb/> die Tage ſeiner Verzweiflung entſtellt. Wie der<lb/> Sturm aufbrach, erwachte er aus ſeiner Betaͤu-<lb/> bung, er fand ſich in ſeinen Schmerzen wieder und<lb/> erkannte ſein Ungluͤck. Da erhub er ein lautes<lb/> Jammergeſchrei um ſeine Kinder, er raufte ſeine<lb/> weißen Haare und klagte im Brauſen des Stur-<lb/> mes: Wohin, wohin ſeid Ihr gekommen, ihr<lb/> Theile meines Herzens? Und wie iſt mir denn<lb/> ſo alle Macht genommen, daß ich euren Tod nicht<lb/> mindeſtens raͤchen darf? Warum hielt ich denn<lb/> meinen Arm zuruͤck, und gab nicht dem den Tod,<lb/> der meinem Herzen den toͤdtlichſten Stich zutheilte?<lb/> Ha, du verdienſt es, Wahnſinniger, daß der Ty-<lb/> rann dich verhoͤhnt, weil dein unmaͤchtiger Arm,<lb/> dein bloͤdes Herz nicht dem Moͤrder widerſtrebt!<lb/> Jetzt, jetzt ſollte er ſo vor mir ſtehn! Vergeblich<lb/> wuͤnſch' ich jetzt die Rache, da der Augenblick<lb/> voruͤber iſt.</p><lb/> <p>So kam die Nacht herauf, und Eckart irrte<lb/> in ſeinem Jammer umher. Da hoͤrte er aus der<lb/> Ferne wie eine Stimme, die um Huͤlfe rief. Er<lb/> richtete ſeine Schritte nach dem Schalle, und traf<lb/> endlich in der Dunkelheit auf einen Mann, der<lb/> an einen Baumſtamm gelehnt, ihn wehmuͤthig<lb/> bat, ihm wieder auf die rechte Straße zu helfen.<lb/> Eckart erſchrack vor der Stimme, denn ſie ſchien<lb/> ihm bekannt, und bald ermannte er ſich und er-<lb/> kannte, daß der Verirrte der Herzog von Bur-<lb/> gunden ſey. Da erhub er ſeine Hand und wollte<lb/> ſein Schwerdt faſſen, um den Mann nieder zu<lb/> hauen, der der Moͤrder ſeiner Kinder war; es<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [211/0222]
Der getreue Eckart.
die Tage ſeiner Verzweiflung entſtellt. Wie der
Sturm aufbrach, erwachte er aus ſeiner Betaͤu-
bung, er fand ſich in ſeinen Schmerzen wieder und
erkannte ſein Ungluͤck. Da erhub er ein lautes
Jammergeſchrei um ſeine Kinder, er raufte ſeine
weißen Haare und klagte im Brauſen des Stur-
mes: Wohin, wohin ſeid Ihr gekommen, ihr
Theile meines Herzens? Und wie iſt mir denn
ſo alle Macht genommen, daß ich euren Tod nicht
mindeſtens raͤchen darf? Warum hielt ich denn
meinen Arm zuruͤck, und gab nicht dem den Tod,
der meinem Herzen den toͤdtlichſten Stich zutheilte?
Ha, du verdienſt es, Wahnſinniger, daß der Ty-
rann dich verhoͤhnt, weil dein unmaͤchtiger Arm,
dein bloͤdes Herz nicht dem Moͤrder widerſtrebt!
Jetzt, jetzt ſollte er ſo vor mir ſtehn! Vergeblich
wuͤnſch' ich jetzt die Rache, da der Augenblick
voruͤber iſt.
So kam die Nacht herauf, und Eckart irrte
in ſeinem Jammer umher. Da hoͤrte er aus der
Ferne wie eine Stimme, die um Huͤlfe rief. Er
richtete ſeine Schritte nach dem Schalle, und traf
endlich in der Dunkelheit auf einen Mann, der
an einen Baumſtamm gelehnt, ihn wehmuͤthig
bat, ihm wieder auf die rechte Straße zu helfen.
Eckart erſchrack vor der Stimme, denn ſie ſchien
ihm bekannt, und bald ermannte er ſich und er-
kannte, daß der Verirrte der Herzog von Bur-
gunden ſey. Da erhub er ſeine Hand und wollte
ſein Schwerdt faſſen, um den Mann nieder zu
hauen, der der Moͤrder ſeiner Kinder war; es
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