Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Runenberg.
dorten recht grün seyn, die Welt umher recht selt-
sam, auch mag sichs wohl treffen, daß man noch
manch Wunder aus der alten Zeit da oben fände.

Es kann fast nicht fehlen, sagte jener, wer
nur zu suchen versteht, wessen Herz recht innerlich
hingezogen wird, der findet uralte Freunde dort
und Herrlichkeiten, alles, was er am eifrigsten
wünscht. -- Mit diesen Worten stieg der Fremde
schnell hinunter, ohne seinem Gefährten Lebewohl
zu sagen, bald war er im Dickicht des Gebüsches
verschwunden, und kurz nachher verhallte auch der
Tritt seiner Füße. Der junge Jäger war nicht
verwundert, er verdoppelte nur seine Schritte nach
dem Runenberge zu, alles winkte ihm dorthin, die
Sterne schienen dorthin zu leuchten, der Mond
wies mit einer hellen Straße nach den Trümmern,
lichte Wolken zogen hinauf, und aus der Tiefe
redeten ihm Gewässer und rauschende Wälder zu
und sprachen ihm Muth ein. Seine Schritte
waren wie beflügelt, sein Herz klopfte, er fühlte
eine so große Freudigkeit in seinem Innern, daß
sie zu einer Angst empor wuchs. -- Er kam in
Gegenden, in denen er nie gewesen war, die Fel-
sen wurden steiler, das Grün verlor sich, die kah-
len Wände riesen ihn wie mit zürnenden Stim-
men an, und ein einsam klagender Wind jagte ihn
vor sich her. So eilte er ohne Stillstand fort,
und kam spät nach Mitternacht auf einen schma-
len Fußsteig, der hart an einem Abgrunde hinlief.
Er achtete nicht auf die Tiefe, die unter ihm gähnte
und ihn zu verschlingen drohte, so sehr spornten

Der Runenberg.
dorten recht gruͤn ſeyn, die Welt umher recht ſelt-
ſam, auch mag ſichs wohl treffen, daß man noch
manch Wunder aus der alten Zeit da oben faͤnde.

Es kann faſt nicht fehlen, ſagte jener, wer
nur zu ſuchen verſteht, weſſen Herz recht innerlich
hingezogen wird, der findet uralte Freunde dort
und Herrlichkeiten, alles, was er am eifrigſten
wuͤnſcht. — Mit dieſen Worten ſtieg der Fremde
ſchnell hinunter, ohne ſeinem Gefaͤhrten Lebewohl
zu ſagen, bald war er im Dickicht des Gebuͤſches
verſchwunden, und kurz nachher verhallte auch der
Tritt ſeiner Fuͤße. Der junge Jaͤger war nicht
verwundert, er verdoppelte nur ſeine Schritte nach
dem Runenberge zu, alles winkte ihm dorthin, die
Sterne ſchienen dorthin zu leuchten, der Mond
wies mit einer hellen Straße nach den Truͤmmern,
lichte Wolken zogen hinauf, und aus der Tiefe
redeten ihm Gewaͤſſer und rauſchende Waͤlder zu
und ſprachen ihm Muth ein. Seine Schritte
waren wie befluͤgelt, ſein Herz klopfte, er fuͤhlte
eine ſo große Freudigkeit in ſeinem Innern, daß
ſie zu einer Angſt empor wuchs. — Er kam in
Gegenden, in denen er nie geweſen war, die Fel-
ſen wurden ſteiler, das Gruͤn verlor ſich, die kah-
len Waͤnde rieſen ihn wie mit zuͤrnenden Stim-
men an, und ein einſam klagender Wind jagte ihn
vor ſich her. So eilte er ohne Stillſtand fort,
und kam ſpaͤt nach Mitternacht auf einen ſchma-
len Fußſteig, der hart an einem Abgrunde hinlief.
Er achtete nicht auf die Tiefe, die unter ihm gaͤhnte
und ihn zu verſchlingen drohte, ſo ſehr ſpornten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0258" n="247"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der Runenberg</hi>.</fw><lb/>
dorten recht gru&#x0364;n &#x017F;eyn, die Welt umher recht &#x017F;elt-<lb/>
&#x017F;am, auch mag &#x017F;ichs wohl treffen, daß man noch<lb/>
manch Wunder aus der alten Zeit da oben fa&#x0364;nde.</p><lb/>
          <p>Es kann fa&#x017F;t nicht fehlen, &#x017F;agte jener, wer<lb/>
nur zu &#x017F;uchen ver&#x017F;teht, we&#x017F;&#x017F;en Herz recht innerlich<lb/>
hingezogen wird, der findet uralte Freunde dort<lb/>
und Herrlichkeiten, alles, was er am eifrig&#x017F;ten<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;cht. &#x2014; Mit die&#x017F;en Worten &#x017F;tieg der Fremde<lb/>
&#x017F;chnell hinunter, ohne &#x017F;einem Gefa&#x0364;hrten Lebewohl<lb/>
zu &#x017F;agen, bald war er im Dickicht des Gebu&#x0364;&#x017F;ches<lb/>
ver&#x017F;chwunden, und kurz nachher verhallte auch der<lb/>
Tritt &#x017F;einer Fu&#x0364;ße. Der junge Ja&#x0364;ger war nicht<lb/>
verwundert, er verdoppelte nur &#x017F;eine Schritte nach<lb/>
dem Runenberge zu, alles winkte ihm dorthin, die<lb/>
Sterne &#x017F;chienen dorthin zu leuchten, der Mond<lb/>
wies mit einer hellen Straße nach den Tru&#x0364;mmern,<lb/>
lichte Wolken zogen hinauf, und aus der Tiefe<lb/>
redeten ihm Gewa&#x0364;&#x017F;&#x017F;er und rau&#x017F;chende Wa&#x0364;lder zu<lb/>
und &#x017F;prachen ihm Muth ein. Seine Schritte<lb/>
waren wie beflu&#x0364;gelt, &#x017F;ein Herz klopfte, er fu&#x0364;hlte<lb/>
eine &#x017F;o große Freudigkeit in &#x017F;einem Innern, daß<lb/>
&#x017F;ie zu einer Ang&#x017F;t empor wuchs. &#x2014; Er kam in<lb/>
Gegenden, in denen er nie gewe&#x017F;en war, die Fel-<lb/>
&#x017F;en wurden &#x017F;teiler, das Gru&#x0364;n verlor &#x017F;ich, die kah-<lb/>
len Wa&#x0364;nde rie&#x017F;en ihn wie mit zu&#x0364;rnenden Stim-<lb/>
men an, und ein ein&#x017F;am klagender Wind jagte ihn<lb/>
vor &#x017F;ich her. So eilte er ohne Still&#x017F;tand fort,<lb/>
und kam &#x017F;pa&#x0364;t nach Mitternacht auf einen &#x017F;chma-<lb/>
len Fuß&#x017F;teig, der hart an einem Abgrunde hinlief.<lb/>
Er achtete nicht auf die Tiefe, die unter ihm ga&#x0364;hnte<lb/>
und ihn zu ver&#x017F;chlingen drohte, &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;pornten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0258] Der Runenberg. dorten recht gruͤn ſeyn, die Welt umher recht ſelt- ſam, auch mag ſichs wohl treffen, daß man noch manch Wunder aus der alten Zeit da oben faͤnde. Es kann faſt nicht fehlen, ſagte jener, wer nur zu ſuchen verſteht, weſſen Herz recht innerlich hingezogen wird, der findet uralte Freunde dort und Herrlichkeiten, alles, was er am eifrigſten wuͤnſcht. — Mit dieſen Worten ſtieg der Fremde ſchnell hinunter, ohne ſeinem Gefaͤhrten Lebewohl zu ſagen, bald war er im Dickicht des Gebuͤſches verſchwunden, und kurz nachher verhallte auch der Tritt ſeiner Fuͤße. Der junge Jaͤger war nicht verwundert, er verdoppelte nur ſeine Schritte nach dem Runenberge zu, alles winkte ihm dorthin, die Sterne ſchienen dorthin zu leuchten, der Mond wies mit einer hellen Straße nach den Truͤmmern, lichte Wolken zogen hinauf, und aus der Tiefe redeten ihm Gewaͤſſer und rauſchende Waͤlder zu und ſprachen ihm Muth ein. Seine Schritte waren wie befluͤgelt, ſein Herz klopfte, er fuͤhlte eine ſo große Freudigkeit in ſeinem Innern, daß ſie zu einer Angſt empor wuchs. — Er kam in Gegenden, in denen er nie geweſen war, die Fel- ſen wurden ſteiler, das Gruͤn verlor ſich, die kah- len Waͤnde rieſen ihn wie mit zuͤrnenden Stim- men an, und ein einſam klagender Wind jagte ihn vor ſich her. So eilte er ohne Stillſtand fort, und kam ſpaͤt nach Mitternacht auf einen ſchma- len Fußſteig, der hart an einem Abgrunde hinlief. Er achtete nicht auf die Tiefe, die unter ihm gaͤhnte und ihn zu verſchlingen drohte, ſo ſehr ſpornten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/258
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/258>, abgerufen am 22.11.2024.