dorten recht grün seyn, die Welt umher recht selt- sam, auch mag sichs wohl treffen, daß man noch manch Wunder aus der alten Zeit da oben fände.
Es kann fast nicht fehlen, sagte jener, wer nur zu suchen versteht, wessen Herz recht innerlich hingezogen wird, der findet uralte Freunde dort und Herrlichkeiten, alles, was er am eifrigsten wünscht. -- Mit diesen Worten stieg der Fremde schnell hinunter, ohne seinem Gefährten Lebewohl zu sagen, bald war er im Dickicht des Gebüsches verschwunden, und kurz nachher verhallte auch der Tritt seiner Füße. Der junge Jäger war nicht verwundert, er verdoppelte nur seine Schritte nach dem Runenberge zu, alles winkte ihm dorthin, die Sterne schienen dorthin zu leuchten, der Mond wies mit einer hellen Straße nach den Trümmern, lichte Wolken zogen hinauf, und aus der Tiefe redeten ihm Gewässer und rauschende Wälder zu und sprachen ihm Muth ein. Seine Schritte waren wie beflügelt, sein Herz klopfte, er fühlte eine so große Freudigkeit in seinem Innern, daß sie zu einer Angst empor wuchs. -- Er kam in Gegenden, in denen er nie gewesen war, die Fel- sen wurden steiler, das Grün verlor sich, die kah- len Wände riesen ihn wie mit zürnenden Stim- men an, und ein einsam klagender Wind jagte ihn vor sich her. So eilte er ohne Stillstand fort, und kam spät nach Mitternacht auf einen schma- len Fußsteig, der hart an einem Abgrunde hinlief. Er achtete nicht auf die Tiefe, die unter ihm gähnte und ihn zu verschlingen drohte, so sehr spornten
Der Runenberg.
dorten recht gruͤn ſeyn, die Welt umher recht ſelt- ſam, auch mag ſichs wohl treffen, daß man noch manch Wunder aus der alten Zeit da oben faͤnde.
Es kann faſt nicht fehlen, ſagte jener, wer nur zu ſuchen verſteht, weſſen Herz recht innerlich hingezogen wird, der findet uralte Freunde dort und Herrlichkeiten, alles, was er am eifrigſten wuͤnſcht. — Mit dieſen Worten ſtieg der Fremde ſchnell hinunter, ohne ſeinem Gefaͤhrten Lebewohl zu ſagen, bald war er im Dickicht des Gebuͤſches verſchwunden, und kurz nachher verhallte auch der Tritt ſeiner Fuͤße. Der junge Jaͤger war nicht verwundert, er verdoppelte nur ſeine Schritte nach dem Runenberge zu, alles winkte ihm dorthin, die Sterne ſchienen dorthin zu leuchten, der Mond wies mit einer hellen Straße nach den Truͤmmern, lichte Wolken zogen hinauf, und aus der Tiefe redeten ihm Gewaͤſſer und rauſchende Waͤlder zu und ſprachen ihm Muth ein. Seine Schritte waren wie befluͤgelt, ſein Herz klopfte, er fuͤhlte eine ſo große Freudigkeit in ſeinem Innern, daß ſie zu einer Angſt empor wuchs. — Er kam in Gegenden, in denen er nie geweſen war, die Fel- ſen wurden ſteiler, das Gruͤn verlor ſich, die kah- len Waͤnde rieſen ihn wie mit zuͤrnenden Stim- men an, und ein einſam klagender Wind jagte ihn vor ſich her. So eilte er ohne Stillſtand fort, und kam ſpaͤt nach Mitternacht auf einen ſchma- len Fußſteig, der hart an einem Abgrunde hinlief. Er achtete nicht auf die Tiefe, die unter ihm gaͤhnte und ihn zu verſchlingen drohte, ſo ſehr ſpornten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0258"n="247"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Der Runenberg</hi>.</fw><lb/>
dorten recht gruͤn ſeyn, die Welt umher recht ſelt-<lb/>ſam, auch mag ſichs wohl treffen, daß man noch<lb/>
manch Wunder aus der alten Zeit da oben faͤnde.</p><lb/><p>Es kann faſt nicht fehlen, ſagte jener, wer<lb/>
nur zu ſuchen verſteht, weſſen Herz recht innerlich<lb/>
hingezogen wird, der findet uralte Freunde dort<lb/>
und Herrlichkeiten, alles, was er am eifrigſten<lb/>
wuͤnſcht. — Mit dieſen Worten ſtieg der Fremde<lb/>ſchnell hinunter, ohne ſeinem Gefaͤhrten Lebewohl<lb/>
zu ſagen, bald war er im Dickicht des Gebuͤſches<lb/>
verſchwunden, und kurz nachher verhallte auch der<lb/>
Tritt ſeiner Fuͤße. Der junge Jaͤger war nicht<lb/>
verwundert, er verdoppelte nur ſeine Schritte nach<lb/>
dem Runenberge zu, alles winkte ihm dorthin, die<lb/>
Sterne ſchienen dorthin zu leuchten, der Mond<lb/>
wies mit einer hellen Straße nach den Truͤmmern,<lb/>
lichte Wolken zogen hinauf, und aus der Tiefe<lb/>
redeten ihm Gewaͤſſer und rauſchende Waͤlder zu<lb/>
und ſprachen ihm Muth ein. Seine Schritte<lb/>
waren wie befluͤgelt, ſein Herz klopfte, er fuͤhlte<lb/>
eine ſo große Freudigkeit in ſeinem Innern, daß<lb/>ſie zu einer Angſt empor wuchs. — Er kam in<lb/>
Gegenden, in denen er nie geweſen war, die Fel-<lb/>ſen wurden ſteiler, das Gruͤn verlor ſich, die kah-<lb/>
len Waͤnde rieſen ihn wie mit zuͤrnenden Stim-<lb/>
men an, und ein einſam klagender Wind jagte ihn<lb/>
vor ſich her. So eilte er ohne Stillſtand fort,<lb/>
und kam ſpaͤt nach Mitternacht auf einen ſchma-<lb/>
len Fußſteig, der hart an einem Abgrunde hinlief.<lb/>
Er achtete nicht auf die Tiefe, die unter ihm gaͤhnte<lb/>
und ihn zu verſchlingen drohte, ſo ſehr ſpornten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[247/0258]
Der Runenberg.
dorten recht gruͤn ſeyn, die Welt umher recht ſelt-
ſam, auch mag ſichs wohl treffen, daß man noch
manch Wunder aus der alten Zeit da oben faͤnde.
Es kann faſt nicht fehlen, ſagte jener, wer
nur zu ſuchen verſteht, weſſen Herz recht innerlich
hingezogen wird, der findet uralte Freunde dort
und Herrlichkeiten, alles, was er am eifrigſten
wuͤnſcht. — Mit dieſen Worten ſtieg der Fremde
ſchnell hinunter, ohne ſeinem Gefaͤhrten Lebewohl
zu ſagen, bald war er im Dickicht des Gebuͤſches
verſchwunden, und kurz nachher verhallte auch der
Tritt ſeiner Fuͤße. Der junge Jaͤger war nicht
verwundert, er verdoppelte nur ſeine Schritte nach
dem Runenberge zu, alles winkte ihm dorthin, die
Sterne ſchienen dorthin zu leuchten, der Mond
wies mit einer hellen Straße nach den Truͤmmern,
lichte Wolken zogen hinauf, und aus der Tiefe
redeten ihm Gewaͤſſer und rauſchende Waͤlder zu
und ſprachen ihm Muth ein. Seine Schritte
waren wie befluͤgelt, ſein Herz klopfte, er fuͤhlte
eine ſo große Freudigkeit in ſeinem Innern, daß
ſie zu einer Angſt empor wuchs. — Er kam in
Gegenden, in denen er nie geweſen war, die Fel-
ſen wurden ſteiler, das Gruͤn verlor ſich, die kah-
len Waͤnde rieſen ihn wie mit zuͤrnenden Stim-
men an, und ein einſam klagender Wind jagte ihn
vor ſich her. So eilte er ohne Stillſtand fort,
und kam ſpaͤt nach Mitternacht auf einen ſchma-
len Fußſteig, der hart an einem Abgrunde hinlief.
Er achtete nicht auf die Tiefe, die unter ihm gaͤhnte
und ihn zu verſchlingen drohte, ſo ſehr ſpornten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/258>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.