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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
aus, die von vielen eingelegten Steinen, Rubinen,
Diamanten und allen Juwelen glänzte, und betrach-
tete sie lange prüfend. Die Tafel schien eine wun-
derliche unverständliche Figur mit ihren unterschied-
lichen Farben und Linien zu bilden; zuweilen war,
nachdem der Schimmer ihm entgegen spiegelte, der
Jüngling schmerzhaft geblendet, dann wieder besänf-
tigten grüne und blau spielende Scheine sein Auge:
er aber stand, die Gegenstände mit seinen Blicken
verschlingend, und zugleich tief in sich selbst versun-
ken. In seinem Innern hatte sich ein Abgrund
von Gestalten und Wohllaut, von Sehnsucht und
Wollust aufgethan, Schaaren von beflügelten Tö-
nen und wehmüthigen und freudigen Melodien
zogen durch sein Gemüth, das bis auf den Grund
bewegt war: er sah eine Welt von Schmerz und
Hoffnung in sich aufgehen, mächtige Wunderfelsen
von Vertrauen und trotzender Zuversicht, große
Wasserströme, wie voll Wehmuth fließend. Er
kannte sich nicht wieder, und erschrack, als die
Schöne das Fenster öffnete, ihm die magische stei-
nerne Tafel reichte und die wenigen Worte sprach:
Nimm dieses zu meinem Angedenken! Er faßte die
Tafel und fühlte die Figur, die unsichtbar sogleich
in sein Inneres überging, und das Licht und die
mächtige Schönheit und der seltsame Saal waren
verschwunden. Wie eine dunkele Nacht mit Wol-
kenvorhängen fiel es in sein Inneres hinein, er
suchte nach seinen vorigen Gefühlen, nach jener
Begeisterung und unbegreiflichen Liebe, er beschaute

Erſte Abtheilung.
aus, die von vielen eingelegten Steinen, Rubinen,
Diamanten und allen Juwelen glaͤnzte, und betrach-
tete ſie lange pruͤfend. Die Tafel ſchien eine wun-
derliche unverſtaͤndliche Figur mit ihren unterſchied-
lichen Farben und Linien zu bilden; zuweilen war,
nachdem der Schimmer ihm entgegen ſpiegelte, der
Juͤngling ſchmerzhaft geblendet, dann wieder beſaͤnf-
tigten gruͤne und blau ſpielende Scheine ſein Auge:
er aber ſtand, die Gegenſtaͤnde mit ſeinen Blicken
verſchlingend, und zugleich tief in ſich ſelbſt verſun-
ken. In ſeinem Innern hatte ſich ein Abgrund
von Geſtalten und Wohllaut, von Sehnſucht und
Wolluſt aufgethan, Schaaren von befluͤgelten Toͤ-
nen und wehmuͤthigen und freudigen Melodien
zogen durch ſein Gemuͤth, das bis auf den Grund
bewegt war: er ſah eine Welt von Schmerz und
Hoffnung in ſich aufgehen, maͤchtige Wunderfelſen
von Vertrauen und trotzender Zuverſicht, große
Waſſerſtroͤme, wie voll Wehmuth fließend. Er
kannte ſich nicht wieder, und erſchrack, als die
Schoͤne das Fenſter oͤffnete, ihm die magiſche ſtei-
nerne Tafel reichte und die wenigen Worte ſprach:
Nimm dieſes zu meinem Angedenken! Er faßte die
Tafel und fuͤhlte die Figur, die unſichtbar ſogleich
in ſein Inneres uͤberging, und das Licht und die
maͤchtige Schoͤnheit und der ſeltſame Saal waren
verſchwunden. Wie eine dunkele Nacht mit Wol-
kenvorhaͤngen fiel es in ſein Inneres hinein, er
ſuchte nach ſeinen vorigen Gefuͤhlen, nach jener
Begeiſterung und unbegreiflichen Liebe, er beſchaute

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[250/0261] Erſte Abtheilung. aus, die von vielen eingelegten Steinen, Rubinen, Diamanten und allen Juwelen glaͤnzte, und betrach- tete ſie lange pruͤfend. Die Tafel ſchien eine wun- derliche unverſtaͤndliche Figur mit ihren unterſchied- lichen Farben und Linien zu bilden; zuweilen war, nachdem der Schimmer ihm entgegen ſpiegelte, der Juͤngling ſchmerzhaft geblendet, dann wieder beſaͤnf- tigten gruͤne und blau ſpielende Scheine ſein Auge: er aber ſtand, die Gegenſtaͤnde mit ſeinen Blicken verſchlingend, und zugleich tief in ſich ſelbſt verſun- ken. In ſeinem Innern hatte ſich ein Abgrund von Geſtalten und Wohllaut, von Sehnſucht und Wolluſt aufgethan, Schaaren von befluͤgelten Toͤ- nen und wehmuͤthigen und freudigen Melodien zogen durch ſein Gemuͤth, das bis auf den Grund bewegt war: er ſah eine Welt von Schmerz und Hoffnung in ſich aufgehen, maͤchtige Wunderfelſen von Vertrauen und trotzender Zuverſicht, große Waſſerſtroͤme, wie voll Wehmuth fließend. Er kannte ſich nicht wieder, und erſchrack, als die Schoͤne das Fenſter oͤffnete, ihm die magiſche ſtei- nerne Tafel reichte und die wenigen Worte ſprach: Nimm dieſes zu meinem Angedenken! Er faßte die Tafel und fuͤhlte die Figur, die unſichtbar ſogleich in ſein Inneres uͤberging, und das Licht und die maͤchtige Schoͤnheit und der ſeltſame Saal waren verſchwunden. Wie eine dunkele Nacht mit Wol- kenvorhaͤngen fiel es in ſein Inneres hinein, er ſuchte nach ſeinen vorigen Gefuͤhlen, nach jener Begeiſterung und unbegreiflichen Liebe, er beſchaute

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/261>, abgerufen am 22.11.2024.