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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Der Runenberg.
dann erzählte sie ihm am Abend Mährchen und
lustige Geschichten. Sie wurden sich immer noth-
wendiger, und die Alten, welche es bemerkten,
schienen nichts dagegen zu haben, denn Christian
war der fleißigste und schönste Bursche im Dorfe;
sie selbst hatten vom ersten Augenblick einen Zug
der Liebe und Freundschaft zu ihm gefühlt. Nach
einem halben Jahre war Elisabeth seine Gattin.
Es war wieder Frühling, die Schwalben und die
Vögel des Gesanges kamen in das Land, der Gar-
ten stand in seinem schönsten Schmuck, die Hoch-
zeit wurde mit aller Fröhlichkeit gefeyert, Braut
und Bräutigam schienen trunken von ihrem Glücke.
Am Abend spät, als sie in die Kammer gingen,
sagte der junge Gatte zu seiner Geliebten: Nein,
nicht jenes Bild bist du, welches mich einst im
Traum entzückte und das ich niemals ganz verges-
sen kann, aber doch bin ich glücklich in deiner
Nähe und seelig in deinen Armen.

Wie vergnügt war die Familie, als sie nach
einem Jahre durch eine kleine Tochter vermehrt
wurde, welche man Leonora nannte. Christian
wurde zwar zuweilen etwas ernster, indem er das
Kind betrachtete, aber doch kam seine jugendliche
Heiterkeit immer wieder zurück. Er gedachte kaum
noch seiner vorigen Lebensweise, denn er fühlte
sich ganz einheimisch und befriedigt. Nach einigen
Monaten fielen ihm aber seine Eltern in die Ge-
danken, und wie sehr sich besonders sein Vater
über sein ruhiges Glück, über seinen Stand als
Gärtner und Landmann freuen würde; es ängstigte

Der Runenberg.
dann erzaͤhlte ſie ihm am Abend Maͤhrchen und
luſtige Geſchichten. Sie wurden ſich immer noth-
wendiger, und die Alten, welche es bemerkten,
ſchienen nichts dagegen zu haben, denn Chriſtian
war der fleißigſte und ſchoͤnſte Burſche im Dorfe;
ſie ſelbſt hatten vom erſten Augenblick einen Zug
der Liebe und Freundſchaft zu ihm gefuͤhlt. Nach
einem halben Jahre war Eliſabeth ſeine Gattin.
Es war wieder Fruͤhling, die Schwalben und die
Voͤgel des Geſanges kamen in das Land, der Gar-
ten ſtand in ſeinem ſchoͤnſten Schmuck, die Hoch-
zeit wurde mit aller Froͤhlichkeit gefeyert, Braut
und Braͤutigam ſchienen trunken von ihrem Gluͤcke.
Am Abend ſpaͤt, als ſie in die Kammer gingen,
ſagte der junge Gatte zu ſeiner Geliebten: Nein,
nicht jenes Bild biſt du, welches mich einſt im
Traum entzuͤckte und das ich niemals ganz vergeſ-
ſen kann, aber doch bin ich gluͤcklich in deiner
Naͤhe und ſeelig in deinen Armen.

Wie vergnuͤgt war die Familie, als ſie nach
einem Jahre durch eine kleine Tochter vermehrt
wurde, welche man Leonora nannte. Chriſtian
wurde zwar zuweilen etwas ernſter, indem er das
Kind betrachtete, aber doch kam ſeine jugendliche
Heiterkeit immer wieder zuruͤck. Er gedachte kaum
noch ſeiner vorigen Lebensweiſe, denn er fuͤhlte
ſich ganz einheimiſch und befriedigt. Nach einigen
Monaten fielen ihm aber ſeine Eltern in die Ge-
danken, und wie ſehr ſich beſonders ſein Vater
uͤber ſein ruhiges Gluͤck, uͤber ſeinen Stand als
Gaͤrtner und Landmann freuen wuͤrde; es aͤngſtigte

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[255/0266] Der Runenberg. dann erzaͤhlte ſie ihm am Abend Maͤhrchen und luſtige Geſchichten. Sie wurden ſich immer noth- wendiger, und die Alten, welche es bemerkten, ſchienen nichts dagegen zu haben, denn Chriſtian war der fleißigſte und ſchoͤnſte Burſche im Dorfe; ſie ſelbſt hatten vom erſten Augenblick einen Zug der Liebe und Freundſchaft zu ihm gefuͤhlt. Nach einem halben Jahre war Eliſabeth ſeine Gattin. Es war wieder Fruͤhling, die Schwalben und die Voͤgel des Geſanges kamen in das Land, der Gar- ten ſtand in ſeinem ſchoͤnſten Schmuck, die Hoch- zeit wurde mit aller Froͤhlichkeit gefeyert, Braut und Braͤutigam ſchienen trunken von ihrem Gluͤcke. Am Abend ſpaͤt, als ſie in die Kammer gingen, ſagte der junge Gatte zu ſeiner Geliebten: Nein, nicht jenes Bild biſt du, welches mich einſt im Traum entzuͤckte und das ich niemals ganz vergeſ- ſen kann, aber doch bin ich gluͤcklich in deiner Naͤhe und ſeelig in deinen Armen. Wie vergnuͤgt war die Familie, als ſie nach einem Jahre durch eine kleine Tochter vermehrt wurde, welche man Leonora nannte. Chriſtian wurde zwar zuweilen etwas ernſter, indem er das Kind betrachtete, aber doch kam ſeine jugendliche Heiterkeit immer wieder zuruͤck. Er gedachte kaum noch ſeiner vorigen Lebensweiſe, denn er fuͤhlte ſich ganz einheimiſch und befriedigt. Nach einigen Monaten fielen ihm aber ſeine Eltern in die Ge- danken, und wie ſehr ſich beſonders ſein Vater uͤber ſein ruhiges Gluͤck, uͤber ſeinen Stand als Gaͤrtner und Landmann freuen wuͤrde; es aͤngſtigte

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/266>, abgerufen am 25.11.2024.