Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Der Runenberg. sinne dich, mein Lieber, so muß dir der böse FeindBlut und Leben verzehren. -- Ja, sagte Christian, ich verstehe mich selber nicht mehr, weder bei Tage noch in der Nacht läßt es mir Ruhe; seht, wie es mich jetzt wieder anblickt, daß mir der rothe Glanz tief in mein Herz hinein geht! Horcht, wie es klingt, dies güldene Blut! das ruft mich, wenn ich schlafe, ich höre es, wenn Musik tönt, wenn der Wind bläst, wenn Leute auf der Gasse spre- chen; scheint die Sonne, so sehe ich nur diese gel- ben Augen, wie es mir zublinzelt, und mir heimlich ein Liebeswort ins Ohr sagen will: so muß ich mich wohl nächtlicher Weise aufmachen, um nur seinem Liebesdrang genug zu thun, und dann fühle ich es innerlich jauchzen und frohlocken, wenn ich es mit meinen Fingern berühre, es wird vor Freu- den immer röther und herrlicher; schaut nur selbst die Glut der Entzückung an! -- Der Greis nahm schaudernd und weinend den Sohn in seine Arme, betete und sprach dann: Christel, du mußt dich wieder zum Worte Gottes wenden, du mußt flei- ßiger und andächtiger in die Kirche gehen, sonst wirst du verschmachten und im traurigsten Elende dich verzehren. Das Geld wurde wieder weggeschlossen, Chri- Der Runenberg. ſinne dich, mein Lieber, ſo muß dir der boͤſe FeindBlut und Leben verzehren. — Ja, ſagte Chriſtian, ich verſtehe mich ſelber nicht mehr, weder bei Tage noch in der Nacht laͤßt es mir Ruhe; ſeht, wie es mich jetzt wieder anblickt, daß mir der rothe Glanz tief in mein Herz hinein geht! Horcht, wie es klingt, dies guͤldene Blut! das ruft mich, wenn ich ſchlafe, ich hoͤre es, wenn Muſik toͤnt, wenn der Wind blaͤſt, wenn Leute auf der Gaſſe ſpre- chen; ſcheint die Sonne, ſo ſehe ich nur dieſe gel- ben Augen, wie es mir zublinzelt, und mir heimlich ein Liebeswort ins Ohr ſagen will: ſo muß ich mich wohl naͤchtlicher Weiſe aufmachen, um nur ſeinem Liebesdrang genug zu thun, und dann fuͤhle ich es innerlich jauchzen und frohlocken, wenn ich es mit meinen Fingern beruͤhre, es wird vor Freu- den immer roͤther und herrlicher; ſchaut nur ſelbſt die Glut der Entzuͤckung an! — Der Greis nahm ſchaudernd und weinend den Sohn in ſeine Arme, betete und ſprach dann: Chriſtel, du mußt dich wieder zum Worte Gottes wenden, du mußt flei- ßiger und andaͤchtiger in die Kirche gehen, ſonſt wirſt du verſchmachten und im traurigſten Elende dich verzehren. Das Geld wurde wieder weggeſchloſſen, Chri- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0272" n="261"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der Runenberg</hi>.</fw><lb/> ſinne dich, mein Lieber, ſo muß dir der boͤſe Feind<lb/> Blut und Leben verzehren. — Ja, ſagte Chriſtian,<lb/> ich verſtehe mich ſelber nicht mehr, weder bei Tage<lb/> noch in der Nacht laͤßt es mir Ruhe; ſeht, wie<lb/> es mich jetzt wieder anblickt, daß mir der rothe<lb/> Glanz tief in mein Herz hinein geht! Horcht, wie<lb/> es klingt, dies guͤldene Blut! das ruft mich, wenn<lb/> ich ſchlafe, ich hoͤre es, wenn Muſik toͤnt, wenn<lb/> der Wind blaͤſt, wenn Leute auf der Gaſſe ſpre-<lb/> chen; ſcheint die Sonne, ſo ſehe ich nur dieſe gel-<lb/> ben Augen, wie es mir zublinzelt, und mir heimlich<lb/> ein Liebeswort ins Ohr ſagen will: ſo muß ich<lb/> mich wohl naͤchtlicher Weiſe aufmachen, um nur<lb/> ſeinem Liebesdrang genug zu thun, und dann fuͤhle<lb/> ich es innerlich jauchzen und frohlocken, wenn ich<lb/> es mit meinen Fingern beruͤhre, es wird vor Freu-<lb/> den immer roͤther und herrlicher; ſchaut nur ſelbſt<lb/> die Glut der Entzuͤckung an! — Der Greis nahm<lb/> ſchaudernd und weinend den Sohn in ſeine Arme,<lb/> betete und ſprach dann: Chriſtel, du mußt dich<lb/> wieder zum Worte Gottes wenden, du mußt flei-<lb/> ßiger und andaͤchtiger in die Kirche gehen, ſonſt<lb/> wirſt du verſchmachten und im traurigſten Elende<lb/> dich verzehren.</p><lb/> <p>Das Geld wurde wieder weggeſchloſſen, Chri-<lb/> ſtian verſprach ſich zu aͤndern und in ſich zu gehn,<lb/> und der Alte ward beruhigt. Schon war ein Jahr<lb/> und mehr vergangen, und man hatte von dem<lb/> Fremden noch nichts wieder in Erfahrung bringen<lb/> koͤnnen; der Alte gab nun endlich den Bitten ſeines<lb/> Sohnes nach, und das zuruͤckgelaſſene Geld wurde<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [261/0272]
Der Runenberg.
ſinne dich, mein Lieber, ſo muß dir der boͤſe Feind
Blut und Leben verzehren. — Ja, ſagte Chriſtian,
ich verſtehe mich ſelber nicht mehr, weder bei Tage
noch in der Nacht laͤßt es mir Ruhe; ſeht, wie
es mich jetzt wieder anblickt, daß mir der rothe
Glanz tief in mein Herz hinein geht! Horcht, wie
es klingt, dies guͤldene Blut! das ruft mich, wenn
ich ſchlafe, ich hoͤre es, wenn Muſik toͤnt, wenn
der Wind blaͤſt, wenn Leute auf der Gaſſe ſpre-
chen; ſcheint die Sonne, ſo ſehe ich nur dieſe gel-
ben Augen, wie es mir zublinzelt, und mir heimlich
ein Liebeswort ins Ohr ſagen will: ſo muß ich
mich wohl naͤchtlicher Weiſe aufmachen, um nur
ſeinem Liebesdrang genug zu thun, und dann fuͤhle
ich es innerlich jauchzen und frohlocken, wenn ich
es mit meinen Fingern beruͤhre, es wird vor Freu-
den immer roͤther und herrlicher; ſchaut nur ſelbſt
die Glut der Entzuͤckung an! — Der Greis nahm
ſchaudernd und weinend den Sohn in ſeine Arme,
betete und ſprach dann: Chriſtel, du mußt dich
wieder zum Worte Gottes wenden, du mußt flei-
ßiger und andaͤchtiger in die Kirche gehen, ſonſt
wirſt du verſchmachten und im traurigſten Elende
dich verzehren.
Das Geld wurde wieder weggeſchloſſen, Chri-
ſtian verſprach ſich zu aͤndern und in ſich zu gehn,
und der Alte ward beruhigt. Schon war ein Jahr
und mehr vergangen, und man hatte von dem
Fremden noch nichts wieder in Erfahrung bringen
koͤnnen; der Alte gab nun endlich den Bitten ſeines
Sohnes nach, und das zuruͤckgelaſſene Geld wurde
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |