schnell, als er anfangs elastisch und begeistert gewe- sen war, alles was ihn dann hinderte, war für ihn kein Sporn, seinen Eifer zu vermehren, son- dern es veranlaßte ihn nur, das zu verachten, was er so hitzig unternommen hatte, so daß Roderich alle seine Plane eben so ohne Ursach liegen ließ und saumselig vergaß, als er sie unbesonnen unter- nommen hatte. Daher verging kein Tag, daß beide Freunde nicht in Krieg geriethen, der ihrer Freundschaft den Tod zu drohen schien, doch war vielleicht dasjenige, was sie dem Anscheine nach trennte, nur das, was sie am innigsten verband; beide liebten sich herzlich, aber beide fanden eine große Genugthuung darin, daß einer über den an- dern die gegründetsten Klagen führen konnte.
Emil, ein reicher junger Mann von reizba- rem und melankolischem Temperament war nach dem Tode seiner Eltern Herr seines Vermögens; er hatte eine Reise angetreten, um sich auszubil- den, befand sich aber nun schon seit einigen Mo- naten in einer ansehnlichen Stadt, die Freuden des Carnevals zu genießen, um welche er sich nie- mals bemühte, um bedeutende Verabredungen über sein Vermögen mit Verwandten zu treffen, die er kaum noch besucht hatte. Unterwegs war er auf den unsteten allzubeweglichen Roderich gestoßen, der mit seinen Vormündern in Unfrieden lebte, und um sich ganz von diesen und ihren lästigen Ver- mahnungen los zu machen, begierig die Gelegenheit ergriff, welche ihm sein neuer Freund anbot, ihn als Gefährten auf seiner Reise mitzunehmen. Auf
Erſte Abtheilung.
ſchnell, als er anfangs elaſtiſch und begeiſtert gewe- ſen war, alles was ihn dann hinderte, war fuͤr ihn kein Sporn, ſeinen Eifer zu vermehren, ſon- dern es veranlaßte ihn nur, das zu verachten, was er ſo hitzig unternommen hatte, ſo daß Roderich alle ſeine Plane eben ſo ohne Urſach liegen ließ und ſaumſelig vergaß, als er ſie unbeſonnen unter- nommen hatte. Daher verging kein Tag, daß beide Freunde nicht in Krieg geriethen, der ihrer Freundſchaft den Tod zu drohen ſchien, doch war vielleicht dasjenige, was ſie dem Anſcheine nach trennte, nur das, was ſie am innigſten verband; beide liebten ſich herzlich, aber beide fanden eine große Genugthuung darin, daß einer uͤber den an- dern die gegruͤndetſten Klagen fuͤhren konnte.
Emil, ein reicher junger Mann von reizba- rem und melankoliſchem Temperament war nach dem Tode ſeiner Eltern Herr ſeines Vermoͤgens; er hatte eine Reiſe angetreten, um ſich auszubil- den, befand ſich aber nun ſchon ſeit einigen Mo- naten in einer anſehnlichen Stadt, die Freuden des Carnevals zu genießen, um welche er ſich nie- mals bemuͤhte, um bedeutende Verabredungen uͤber ſein Vermoͤgen mit Verwandten zu treffen, die er kaum noch beſucht hatte. Unterwegs war er auf den unſteten allzubeweglichen Roderich geſtoßen, der mit ſeinen Vormuͤndern in Unfrieden lebte, und um ſich ganz von dieſen und ihren laͤſtigen Ver- mahnungen los zu machen, begierig die Gelegenheit ergriff, welche ihm ſein neuer Freund anbot, ihn als Gefaͤhrten auf ſeiner Reiſe mitzunehmen. Auf
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0285"n="274"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erſte Abtheilung</hi>.</fw><lb/>ſchnell, als er anfangs elaſtiſch und begeiſtert gewe-<lb/>ſen war, alles was ihn dann hinderte, war fuͤr<lb/>
ihn kein Sporn, ſeinen Eifer zu vermehren, ſon-<lb/>
dern es veranlaßte ihn nur, das zu verachten, was<lb/>
er ſo hitzig unternommen hatte, ſo daß Roderich<lb/>
alle ſeine Plane eben ſo ohne Urſach liegen ließ<lb/>
und ſaumſelig vergaß, als er ſie unbeſonnen unter-<lb/>
nommen hatte. Daher verging kein Tag, daß<lb/>
beide Freunde nicht in Krieg geriethen, der ihrer<lb/>
Freundſchaft den Tod zu drohen ſchien, doch war<lb/>
vielleicht dasjenige, was ſie dem Anſcheine nach<lb/>
trennte, nur das, was ſie am innigſten verband;<lb/>
beide liebten ſich herzlich, aber beide fanden eine<lb/>
große Genugthuung darin, daß einer uͤber den an-<lb/>
dern die gegruͤndetſten Klagen fuͤhren konnte.</p><lb/><p>Emil, ein reicher junger Mann von reizba-<lb/>
rem und melankoliſchem Temperament war nach<lb/>
dem Tode ſeiner Eltern Herr ſeines Vermoͤgens;<lb/>
er hatte eine Reiſe angetreten, um ſich auszubil-<lb/>
den, befand ſich aber nun ſchon ſeit einigen Mo-<lb/>
naten in einer anſehnlichen Stadt, die Freuden<lb/>
des Carnevals zu genießen, um welche er ſich nie-<lb/>
mals bemuͤhte, um bedeutende Verabredungen uͤber<lb/>ſein Vermoͤgen mit Verwandten zu treffen, die er<lb/>
kaum noch beſucht hatte. Unterwegs war er auf<lb/>
den unſteten allzubeweglichen Roderich geſtoßen, der<lb/>
mit ſeinen Vormuͤndern in Unfrieden lebte, und<lb/>
um ſich ganz von dieſen und ihren laͤſtigen Ver-<lb/>
mahnungen los zu machen, begierig die Gelegenheit<lb/>
ergriff, welche ihm ſein neuer Freund anbot, ihn<lb/>
als Gefaͤhrten auf ſeiner Reiſe mitzunehmen. Auf<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[274/0285]
Erſte Abtheilung.
ſchnell, als er anfangs elaſtiſch und begeiſtert gewe-
ſen war, alles was ihn dann hinderte, war fuͤr
ihn kein Sporn, ſeinen Eifer zu vermehren, ſon-
dern es veranlaßte ihn nur, das zu verachten, was
er ſo hitzig unternommen hatte, ſo daß Roderich
alle ſeine Plane eben ſo ohne Urſach liegen ließ
und ſaumſelig vergaß, als er ſie unbeſonnen unter-
nommen hatte. Daher verging kein Tag, daß
beide Freunde nicht in Krieg geriethen, der ihrer
Freundſchaft den Tod zu drohen ſchien, doch war
vielleicht dasjenige, was ſie dem Anſcheine nach
trennte, nur das, was ſie am innigſten verband;
beide liebten ſich herzlich, aber beide fanden eine
große Genugthuung darin, daß einer uͤber den an-
dern die gegruͤndetſten Klagen fuͤhren konnte.
Emil, ein reicher junger Mann von reizba-
rem und melankoliſchem Temperament war nach
dem Tode ſeiner Eltern Herr ſeines Vermoͤgens;
er hatte eine Reiſe angetreten, um ſich auszubil-
den, befand ſich aber nun ſchon ſeit einigen Mo-
naten in einer anſehnlichen Stadt, die Freuden
des Carnevals zu genießen, um welche er ſich nie-
mals bemuͤhte, um bedeutende Verabredungen uͤber
ſein Vermoͤgen mit Verwandten zu treffen, die er
kaum noch beſucht hatte. Unterwegs war er auf
den unſteten allzubeweglichen Roderich geſtoßen, der
mit ſeinen Vormuͤndern in Unfrieden lebte, und
um ſich ganz von dieſen und ihren laͤſtigen Ver-
mahnungen los zu machen, begierig die Gelegenheit
ergriff, welche ihm ſein neuer Freund anbot, ihn
als Gefaͤhrten auf ſeiner Reiſe mitzunehmen. Auf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/285>, abgerufen am 23.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.