Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Liebeszauber.
ist, daß dir dergleichen Anstalten so unbillig zu-
wider sind.

Emil sagte: wer von uns beiden krank zu nen-
nen ist, will ich nicht untersuchen, dein unbegreif-
licher Leichtsinn, deine Sucht, dich zu zerstreuen,
dein Jagen nach Vergnügungen, die dein Herz
leer lassen, scheint mir wenigstens keine Seelenge-
sundheit; auch in gewissen Dingen könntest du wohl
meiner Schwachheit, wenn es denn einmal derglei-
chen sein soll, nachgeben, und es giebt nichts auf
der Welt, was mich so durch und durch verstimmt,
als ein Ball mit seiner fürchterlichen Musik. Man
hat sonst wohl gesagt, die Tanzenden müsten einem
Tauben, welcher die Musik nicht vernimmt, als
Rasende erscheinen; ich aber meine, daß diese
schreckliche Musik selbst, dies Umherwirbeln we-
niger Töne in widerlicher Schnelligkeit, in jenen
vermaledeyten Melodien, die sich unserm Gedächt-
nisse, ja ich möchte sagen unserm Blut unmittel-
bar mittheilen, und die man nachher auf lange
nicht wieder los werden kann, daß dies die Toll-
heit und Raserey selbst sey, denn wenn mir das
Tanzen noch irgend erträglich seyn soll, so müste
es ohne Musik geschehn.

Nun sieh, wie paradox! antwortete der Mas-
kirte; du kömmst so weit, daß du das Natürlichste,
Unschuldigste und Heiterste von der Welt unna-
türlich, ja gräßlich finden willst.

Ich kann nicht für mein Gefühl, sagte der
Ernste, daß mich diese Töne von Kindheit auf
unglücklich gemacht, und oft bis zur Verzweiflung

Liebeszauber.
iſt, daß dir dergleichen Anſtalten ſo unbillig zu-
wider ſind.

Emil ſagte: wer von uns beiden krank zu nen-
nen iſt, will ich nicht unterſuchen, dein unbegreif-
licher Leichtſinn, deine Sucht, dich zu zerſtreuen,
dein Jagen nach Vergnuͤgungen, die dein Herz
leer laſſen, ſcheint mir wenigſtens keine Seelenge-
ſundheit; auch in gewiſſen Dingen koͤnnteſt du wohl
meiner Schwachheit, wenn es denn einmal derglei-
chen ſein ſoll, nachgeben, und es giebt nichts auf
der Welt, was mich ſo durch und durch verſtimmt,
als ein Ball mit ſeiner fuͤrchterlichen Muſik. Man
hat ſonſt wohl geſagt, die Tanzenden muͤſten einem
Tauben, welcher die Muſik nicht vernimmt, als
Raſende erſcheinen; ich aber meine, daß dieſe
ſchreckliche Muſik ſelbſt, dies Umherwirbeln we-
niger Toͤne in widerlicher Schnelligkeit, in jenen
vermaledeyten Melodien, die ſich unſerm Gedaͤcht-
niſſe, ja ich moͤchte ſagen unſerm Blut unmittel-
bar mittheilen, und die man nachher auf lange
nicht wieder los werden kann, daß dies die Toll-
heit und Raſerey ſelbſt ſey, denn wenn mir das
Tanzen noch irgend ertraͤglich ſeyn ſoll, ſo muͤſte
es ohne Muſik geſchehn.

Nun ſieh, wie paradox! antwortete der Mas-
kirte; du koͤmmſt ſo weit, daß du das Natuͤrlichſte,
Unſchuldigſte und Heiterſte von der Welt unna-
tuͤrlich, ja graͤßlich finden willſt.

Ich kann nicht fuͤr mein Gefuͤhl, ſagte der
Ernſte, daß mich dieſe Toͤne von Kindheit auf
ungluͤcklich gemacht, und oft bis zur Verzweiflung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0290" n="279"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Liebeszauber</hi>.</fw><lb/>
i&#x017F;t, daß dir dergleichen An&#x017F;talten &#x017F;o unbillig zu-<lb/>
wider &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>Emil &#x017F;agte: wer von uns beiden krank zu nen-<lb/>
nen i&#x017F;t, will ich nicht unter&#x017F;uchen, dein unbegreif-<lb/>
licher Leicht&#x017F;inn, deine Sucht, dich zu zer&#x017F;treuen,<lb/>
dein Jagen nach Vergnu&#x0364;gungen, die dein Herz<lb/>
leer la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;cheint mir wenig&#x017F;tens keine Seelenge-<lb/>
&#x017F;undheit; auch in gewi&#x017F;&#x017F;en Dingen ko&#x0364;nnte&#x017F;t du wohl<lb/>
meiner Schwachheit, wenn es denn einmal derglei-<lb/>
chen &#x017F;ein &#x017F;oll, nachgeben, und es giebt nichts auf<lb/>
der Welt, was mich &#x017F;o durch und durch ver&#x017F;timmt,<lb/>
als ein Ball mit &#x017F;einer fu&#x0364;rchterlichen Mu&#x017F;ik. Man<lb/>
hat &#x017F;on&#x017F;t wohl ge&#x017F;agt, die Tanzenden mu&#x0364;&#x017F;ten einem<lb/>
Tauben, welcher die Mu&#x017F;ik nicht vernimmt, als<lb/>
Ra&#x017F;ende er&#x017F;cheinen; ich aber meine, daß die&#x017F;e<lb/>
&#x017F;chreckliche Mu&#x017F;ik &#x017F;elb&#x017F;t, dies Umherwirbeln we-<lb/>
niger To&#x0364;ne in widerlicher Schnelligkeit, in jenen<lb/>
vermaledeyten Melodien, die &#x017F;ich un&#x017F;erm Geda&#x0364;cht-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e, ja ich mo&#x0364;chte &#x017F;agen un&#x017F;erm Blut unmittel-<lb/>
bar mittheilen, und die man nachher auf lange<lb/>
nicht wieder los werden kann, daß dies die Toll-<lb/>
heit und Ra&#x017F;erey &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ey, denn wenn mir das<lb/>
Tanzen noch irgend ertra&#x0364;glich &#x017F;eyn &#x017F;oll, &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;te<lb/>
es ohne Mu&#x017F;ik ge&#x017F;chehn.</p><lb/>
          <p>Nun &#x017F;ieh, wie paradox! antwortete der Mas-<lb/>
kirte; du ko&#x0364;mm&#x017F;t &#x017F;o weit, daß du das Natu&#x0364;rlich&#x017F;te,<lb/>
Un&#x017F;chuldig&#x017F;te und Heiter&#x017F;te von der Welt unna-<lb/>
tu&#x0364;rlich, ja gra&#x0364;ßlich finden will&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Ich kann nicht fu&#x0364;r mein Gefu&#x0364;hl, &#x017F;agte der<lb/>
Ern&#x017F;te, daß mich die&#x017F;e To&#x0364;ne von Kindheit auf<lb/>
unglu&#x0364;cklich gemacht, und oft bis zur Verzweiflung<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[279/0290] Liebeszauber. iſt, daß dir dergleichen Anſtalten ſo unbillig zu- wider ſind. Emil ſagte: wer von uns beiden krank zu nen- nen iſt, will ich nicht unterſuchen, dein unbegreif- licher Leichtſinn, deine Sucht, dich zu zerſtreuen, dein Jagen nach Vergnuͤgungen, die dein Herz leer laſſen, ſcheint mir wenigſtens keine Seelenge- ſundheit; auch in gewiſſen Dingen koͤnnteſt du wohl meiner Schwachheit, wenn es denn einmal derglei- chen ſein ſoll, nachgeben, und es giebt nichts auf der Welt, was mich ſo durch und durch verſtimmt, als ein Ball mit ſeiner fuͤrchterlichen Muſik. Man hat ſonſt wohl geſagt, die Tanzenden muͤſten einem Tauben, welcher die Muſik nicht vernimmt, als Raſende erſcheinen; ich aber meine, daß dieſe ſchreckliche Muſik ſelbſt, dies Umherwirbeln we- niger Toͤne in widerlicher Schnelligkeit, in jenen vermaledeyten Melodien, die ſich unſerm Gedaͤcht- niſſe, ja ich moͤchte ſagen unſerm Blut unmittel- bar mittheilen, und die man nachher auf lange nicht wieder los werden kann, daß dies die Toll- heit und Raſerey ſelbſt ſey, denn wenn mir das Tanzen noch irgend ertraͤglich ſeyn ſoll, ſo muͤſte es ohne Muſik geſchehn. Nun ſieh, wie paradox! antwortete der Mas- kirte; du koͤmmſt ſo weit, daß du das Natuͤrlichſte, Unſchuldigſte und Heiterſte von der Welt unna- tuͤrlich, ja graͤßlich finden willſt. Ich kann nicht fuͤr mein Gefuͤhl, ſagte der Ernſte, daß mich dieſe Toͤne von Kindheit auf ungluͤcklich gemacht, und oft bis zur Verzweiflung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/290
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/290>, abgerufen am 01.06.2024.