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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Einleitung.

Die Freunde wanderten weiter, und nach
geraumer Zeit fragte Theodor: wie hast du nur
so lange krank sein können?

Verwundre dich doch lieber, antwortete der
Kranke, wie ich so bald habe genesen können,
denn noch ist es mir selber unbegreiflich, daß
meine Kräfte sich so schnell wieder hergestellt haben.

Wie wird sich der gute Friedrich freuen,
sagte Theodor, dich einmal wieder zu sehn; denn
immer warst du ihm unter seinen Freunden der
liebste.

Sagt vielmehr, antwortete der Genesene,
daß wir uns in manchen Punkten unsers Wesens
am innigsten berührten und am besten verstanden;
denn, meine Geliebten, man lebt, wenn man das
Glück hat, mehre Freunde zu besitzen, mit jedem
Freunde ein eignes, abgesondertes Leben; es bil-
den sich mannichfache Kreise von Zärtlichkeit und
Freundschaft, die wohl die Gefühle der Liebe zu
andern in sich aufnehmen und harmonisch mit
ihnen fortschwingen, dann aber wieder in die
alte eigenthümliche Bahn zurück kehren, daher
eben so wie mir der Vertrauteste in vielen Ge-
sinnungen fremd bleibt, so hebt eben derselbe
auch vieles Dunkle in meiner eignen Natur bloß
durch seine Gegenwart hervor, und macht es
licht, sein Gespräch, wenn es diese Punkte
trifft, erweckt es zum klarsten innigsten Leben,
und eben so wirkt meine Gegenwart auf ihn zu-
rück. Vielleicht war manches in Friedrich und

Einleitung.

Die Freunde wanderten weiter, und nach
geraumer Zeit fragte Theodor: wie haſt du nur
ſo lange krank ſein koͤnnen?

Verwundre dich doch lieber, antwortete der
Kranke, wie ich ſo bald habe geneſen koͤnnen,
denn noch iſt es mir ſelber unbegreiflich, daß
meine Kraͤfte ſich ſo ſchnell wieder hergeſtellt haben.

Wie wird ſich der gute Friedrich freuen,
ſagte Theodor, dich einmal wieder zu ſehn; denn
immer warſt du ihm unter ſeinen Freunden der
liebſte.

Sagt vielmehr, antwortete der Geneſene,
daß wir uns in manchen Punkten unſers Weſens
am innigſten beruͤhrten und am beſten verſtanden;
denn, meine Geliebten, man lebt, wenn man das
Gluͤck hat, mehre Freunde zu beſitzen, mit jedem
Freunde ein eignes, abgeſondertes Leben; es bil-
den ſich mannichfache Kreiſe von Zaͤrtlichkeit und
Freundſchaft, die wohl die Gefuͤhle der Liebe zu
andern in ſich aufnehmen und harmoniſch mit
ihnen fortſchwingen, dann aber wieder in die
alte eigenthuͤmliche Bahn zuruͤck kehren, daher
eben ſo wie mir der Vertrauteſte in vielen Ge-
ſinnungen fremd bleibt, ſo hebt eben derſelbe
auch vieles Dunkle in meiner eignen Natur bloß
durch ſeine Gegenwart hervor, und macht es
licht, ſein Geſpraͤch, wenn es dieſe Punkte
trifft, erweckt es zum klarſten innigſten Leben,
und eben ſo wirkt meine Gegenwart auf ihn zu-
ruͤck. Vielleicht war manches in Friedrich und

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[21/0032] Einleitung. Die Freunde wanderten weiter, und nach geraumer Zeit fragte Theodor: wie haſt du nur ſo lange krank ſein koͤnnen? Verwundre dich doch lieber, antwortete der Kranke, wie ich ſo bald habe geneſen koͤnnen, denn noch iſt es mir ſelber unbegreiflich, daß meine Kraͤfte ſich ſo ſchnell wieder hergeſtellt haben. Wie wird ſich der gute Friedrich freuen, ſagte Theodor, dich einmal wieder zu ſehn; denn immer warſt du ihm unter ſeinen Freunden der liebſte. Sagt vielmehr, antwortete der Geneſene, daß wir uns in manchen Punkten unſers Weſens am innigſten beruͤhrten und am beſten verſtanden; denn, meine Geliebten, man lebt, wenn man das Gluͤck hat, mehre Freunde zu beſitzen, mit jedem Freunde ein eignes, abgeſondertes Leben; es bil- den ſich mannichfache Kreiſe von Zaͤrtlichkeit und Freundſchaft, die wohl die Gefuͤhle der Liebe zu andern in ſich aufnehmen und harmoniſch mit ihnen fortſchwingen, dann aber wieder in die alte eigenthuͤmliche Bahn zuruͤck kehren, daher eben ſo wie mir der Vertrauteſte in vielen Ge- ſinnungen fremd bleibt, ſo hebt eben derſelbe auch vieles Dunkle in meiner eignen Natur bloß durch ſeine Gegenwart hervor, und macht es licht, ſein Geſpraͤch, wenn es dieſe Punkte trifft, erweckt es zum klarſten innigſten Leben, und eben ſo wirkt meine Gegenwart auf ihn zu- ruͤck. Vielleicht war manches in Friedrich und

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/32>, abgerufen am 24.11.2024.