mir, was ihr übrigen mißverstandet, was sich in uns ergänzte und durch unsre Freundschaft zum Bewußtsein gedieh, so daß wir uns man- cher Dinge wohl sogar erfreuten, die andre uns lieber hätten abgewöhnen mögen.
Was du da sagst ist sehr wahr, fügte Ernst hinzu, der Mensch, der überhaupt das Leben und sich versteht wird mit jedem seiner Freunde ein eignes Vertrauen, eine andre Zärtlichkeit füh- len und üben wollen. O das ist ja eben das Himmlische der Freundschaft, sich im geliebten Gegenstande ganz zu verlieren, neben dem Ver- wandten so viel Fremdartiges, Geheimnißvolles ahnden, mit herzlichem Glauben und edler Zu- versicht auch das Nichtverstandne achten, durch diese Liebe Seele zu gewinnen und Seele dem Geliebten zu schenken! Wie roh leben diejeni- gen, und verletzen ewig sich und den Freund, die so ganz und unbedingt sich verstehn, beurthei- len, abmessen, und dadurch nur scheinbar ein- ander angehören wollen! das heißt Bäume fäl- len, Hügel abtragen und Bäche ableiten, um allenthalben flache Durchsicht, Mittheilung und Verknüpfung zu gewinnen, und einen schönen romantischen Park deshalb verderben. Nicht früh genug kann der Jüngling, der so glücklich ist, einen Freund zu gewinnen, sich von dieser selbsti- schen Forderung unsrer roheren Natur, von die- sem Mißverständniß der jugendlichen Liebe ent- wöhnen.
Einleitung.
mir, was ihr uͤbrigen mißverſtandet, was ſich in uns ergaͤnzte und durch unſre Freundſchaft zum Bewußtſein gedieh, ſo daß wir uns man- cher Dinge wohl ſogar erfreuten, die andre uns lieber haͤtten abgewoͤhnen moͤgen.
Was du da ſagſt iſt ſehr wahr, fuͤgte Ernſt hinzu, der Menſch, der uͤberhaupt das Leben und ſich verſteht wird mit jedem ſeiner Freunde ein eignes Vertrauen, eine andre Zaͤrtlichkeit fuͤh- len und uͤben wollen. O das iſt ja eben das Himmliſche der Freundſchaft, ſich im geliebten Gegenſtande ganz zu verlieren, neben dem Ver- wandten ſo viel Fremdartiges, Geheimnißvolles ahnden, mit herzlichem Glauben und edler Zu- verſicht auch das Nichtverſtandne achten, durch dieſe Liebe Seele zu gewinnen und Seele dem Geliebten zu ſchenken! Wie roh leben diejeni- gen, und verletzen ewig ſich und den Freund, die ſo ganz und unbedingt ſich verſtehn, beurthei- len, abmeſſen, und dadurch nur ſcheinbar ein- ander angehoͤren wollen! das heißt Baͤume faͤl- len, Huͤgel abtragen und Baͤche ableiten, um allenthalben flache Durchſicht, Mittheilung und Verknuͤpfung zu gewinnen, und einen ſchoͤnen romantiſchen Park deshalb verderben. Nicht fruͤh genug kann der Juͤngling, der ſo gluͤcklich iſt, einen Freund zu gewinnen, ſich von dieſer ſelbſti- ſchen Forderung unſrer roheren Natur, von die- ſem Mißverſtaͤndniß der jugendlichen Liebe ent- woͤhnen.
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Einleitung.
mir, was ihr uͤbrigen mißverſtandet, was ſich
in uns ergaͤnzte und durch unſre Freundſchaft
zum Bewußtſein gedieh, ſo daß wir uns man-
cher Dinge wohl ſogar erfreuten, die andre uns
lieber haͤtten abgewoͤhnen moͤgen.
Was du da ſagſt iſt ſehr wahr, fuͤgte Ernſt
hinzu, der Menſch, der uͤberhaupt das Leben
und ſich verſteht wird mit jedem ſeiner Freunde
ein eignes Vertrauen, eine andre Zaͤrtlichkeit fuͤh-
len und uͤben wollen. O das iſt ja eben das
Himmliſche der Freundſchaft, ſich im geliebten
Gegenſtande ganz zu verlieren, neben dem Ver-
wandten ſo viel Fremdartiges, Geheimnißvolles
ahnden, mit herzlichem Glauben und edler Zu-
verſicht auch das Nichtverſtandne achten, durch
dieſe Liebe Seele zu gewinnen und Seele dem
Geliebten zu ſchenken! Wie roh leben diejeni-
gen, und verletzen ewig ſich und den Freund,
die ſo ganz und unbedingt ſich verſtehn, beurthei-
len, abmeſſen, und dadurch nur ſcheinbar ein-
ander angehoͤren wollen! das heißt Baͤume faͤl-
len, Huͤgel abtragen und Baͤche ableiten, um
allenthalben flache Durchſicht, Mittheilung und
Verknuͤpfung zu gewinnen, und einen ſchoͤnen
romantiſchen Park deshalb verderben. Nicht fruͤh
genug kann der Juͤngling, der ſo gluͤcklich iſt,
einen Freund zu gewinnen, ſich von dieſer ſelbſti-
ſchen Forderung unſrer roheren Natur, von die-
ſem Mißverſtaͤndniß der jugendlichen Liebe ent-
woͤhnen.
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/33>, abgerufen am 24.11.2024.
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