Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Erste Abtheilung.
so mit den Romanen. In mein Haus soll mir
gewiß kein Buch für Mütter, oder Gattinnen, oder
Weiber wie sie seyn sollen, und dergleichen Un-
kraut kommen, aus der Verkehrtheit unsers Trei-
bens erwachsen und von der Eitelkeit des Zeitalters
genährt. Und dieselben Herren, die dergleichen
wahrhaft unmoralisches Zeug schreiben und prei-
sen, wollen dem Bauer seinen Siegfried, Okta-
vian und Eulenspiegel nehmen, um die Morali-
tät der niedern Stände nicht verderben zu las-
sen! Kann es etwas Tolleres und Verkehrteres
geben?

Sollte denn aber, sagte Anton, meine Regie-
rung gleich so verstümmelt beginnen, zum gefähr-
lichen Beispiel aller meiner Thronfolger, und diese
Abtheilung, die mir zugefallen ist, gar nicht vol-
lendet werden? Was werden dazu unsre Freunde
Friedrich, Wilibald und Theodor sagen? Wahr-
lich, wenn ich meiner Pflicht nur irgend nachle-
ben will, darf ich es nicht zugeben. Die lie-
benswürdige Clara wird also hiemit für eine Re-
bellin erklärt, und ihr eine Minute Frist gestat-
tet, sich zu besinnen, widrigenfalls sie sich der
Strafe aussetzen wird, daß man ihr ganz allein
in der Einsamkeit die Oktavia, oder Armuth und
Edelsinn, oder irgend etwas dem Aehnliches,
Großartiges vorlesen soll.

Ich ergebe mich, sagte Clara; der furcht-
bare Herrscher sehe ich, hat zu schreckliche Stra-
fen in seiner Hand, er will uns zwar nicht mit

Erſte Abtheilung.
ſo mit den Romanen. In mein Haus ſoll mir
gewiß kein Buch fuͤr Muͤtter, oder Gattinnen, oder
Weiber wie ſie ſeyn ſollen, und dergleichen Un-
kraut kommen, aus der Verkehrtheit unſers Trei-
bens erwachſen und von der Eitelkeit des Zeitalters
genaͤhrt. Und dieſelben Herren, die dergleichen
wahrhaft unmoraliſches Zeug ſchreiben und prei-
ſen, wollen dem Bauer ſeinen Siegfried, Okta-
vian und Eulenſpiegel nehmen, um die Morali-
taͤt der niedern Staͤnde nicht verderben zu laſ-
ſen! Kann es etwas Tolleres und Verkehrteres
geben?

Sollte denn aber, ſagte Anton, meine Regie-
rung gleich ſo verſtuͤmmelt beginnen, zum gefaͤhr-
lichen Beiſpiel aller meiner Thronfolger, und dieſe
Abtheilung, die mir zugefallen iſt, gar nicht vol-
lendet werden? Was werden dazu unſre Freunde
Friedrich, Wilibald und Theodor ſagen? Wahr-
lich, wenn ich meiner Pflicht nur irgend nachle-
ben will, darf ich es nicht zugeben. Die lie-
benswuͤrdige Clara wird alſo hiemit fuͤr eine Re-
bellin erklaͤrt, und ihr eine Minute Friſt geſtat-
tet, ſich zu beſinnen, widrigenfalls ſie ſich der
Strafe ausſetzen wird, daß man ihr ganz allein
in der Einſamkeit die Oktavia, oder Armuth und
Edelſinn, oder irgend etwas dem Aehnliches,
Großartiges vorleſen ſoll.

Ich ergebe mich, ſagte Clara; der furcht-
bare Herrſcher ſehe ich, hat zu ſchreckliche Stra-
fen in ſeiner Hand, er will uns zwar nicht mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0333" n="322"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
&#x017F;o mit den Romanen. In mein Haus &#x017F;oll mir<lb/>
gewiß kein Buch fu&#x0364;r Mu&#x0364;tter, oder Gattinnen, oder<lb/>
Weiber wie &#x017F;ie &#x017F;eyn &#x017F;ollen, und dergleichen Un-<lb/>
kraut kommen, aus der Verkehrtheit un&#x017F;ers Trei-<lb/>
bens erwach&#x017F;en und von der Eitelkeit des Zeitalters<lb/>
gena&#x0364;hrt. Und die&#x017F;elben Herren, die dergleichen<lb/>
wahrhaft unmorali&#x017F;ches Zeug &#x017F;chreiben und prei-<lb/>
&#x017F;en, wollen dem Bauer &#x017F;einen Siegfried, Okta-<lb/>
vian und Eulen&#x017F;piegel nehmen, um die Morali-<lb/>
ta&#x0364;t der niedern Sta&#x0364;nde nicht verderben zu la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en! Kann es etwas Tolleres und Verkehrteres<lb/>
geben?</p><lb/>
          <p>Sollte denn aber, &#x017F;agte Anton, meine Regie-<lb/>
rung gleich &#x017F;o ver&#x017F;tu&#x0364;mmelt beginnen, zum gefa&#x0364;hr-<lb/>
lichen Bei&#x017F;piel aller meiner Thronfolger, und die&#x017F;e<lb/>
Abtheilung, die mir zugefallen i&#x017F;t, gar nicht vol-<lb/>
lendet werden? Was werden dazu un&#x017F;re Freunde<lb/>
Friedrich, Wilibald und Theodor &#x017F;agen? Wahr-<lb/>
lich, wenn ich meiner Pflicht nur irgend nachle-<lb/>
ben will, darf ich es nicht zugeben. Die lie-<lb/>
benswu&#x0364;rdige Clara wird al&#x017F;o hiemit fu&#x0364;r eine Re-<lb/>
bellin erkla&#x0364;rt, und ihr eine Minute Fri&#x017F;t ge&#x017F;tat-<lb/>
tet, &#x017F;ich zu be&#x017F;innen, widrigenfalls &#x017F;ie &#x017F;ich der<lb/>
Strafe aus&#x017F;etzen wird, daß man ihr ganz allein<lb/>
in der Ein&#x017F;amkeit die Oktavia, oder Armuth und<lb/>
Edel&#x017F;inn, oder irgend etwas dem Aehnliches,<lb/>
Großartiges vorle&#x017F;en &#x017F;oll.</p><lb/>
          <p>Ich ergebe mich, &#x017F;agte Clara; der furcht-<lb/>
bare Herr&#x017F;cher &#x017F;ehe ich, hat zu &#x017F;chreckliche Stra-<lb/>
fen in &#x017F;einer Hand, er will uns zwar nicht mit<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[322/0333] Erſte Abtheilung. ſo mit den Romanen. In mein Haus ſoll mir gewiß kein Buch fuͤr Muͤtter, oder Gattinnen, oder Weiber wie ſie ſeyn ſollen, und dergleichen Un- kraut kommen, aus der Verkehrtheit unſers Trei- bens erwachſen und von der Eitelkeit des Zeitalters genaͤhrt. Und dieſelben Herren, die dergleichen wahrhaft unmoraliſches Zeug ſchreiben und prei- ſen, wollen dem Bauer ſeinen Siegfried, Okta- vian und Eulenſpiegel nehmen, um die Morali- taͤt der niedern Staͤnde nicht verderben zu laſ- ſen! Kann es etwas Tolleres und Verkehrteres geben? Sollte denn aber, ſagte Anton, meine Regie- rung gleich ſo verſtuͤmmelt beginnen, zum gefaͤhr- lichen Beiſpiel aller meiner Thronfolger, und dieſe Abtheilung, die mir zugefallen iſt, gar nicht vol- lendet werden? Was werden dazu unſre Freunde Friedrich, Wilibald und Theodor ſagen? Wahr- lich, wenn ich meiner Pflicht nur irgend nachle- ben will, darf ich es nicht zugeben. Die lie- benswuͤrdige Clara wird alſo hiemit fuͤr eine Re- bellin erklaͤrt, und ihr eine Minute Friſt geſtat- tet, ſich zu beſinnen, widrigenfalls ſie ſich der Strafe ausſetzen wird, daß man ihr ganz allein in der Einſamkeit die Oktavia, oder Armuth und Edelſinn, oder irgend etwas dem Aehnliches, Großartiges vorleſen ſoll. Ich ergebe mich, ſagte Clara; der furcht- bare Herrſcher ſehe ich, hat zu ſchreckliche Stra- fen in ſeiner Hand, er will uns zwar nicht mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/333
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/333>, abgerufen am 22.11.2024.