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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
Der Dichter sieht bemooste Leichensteine,
Die keiner seiner Freunde kennt,
Dann fühlt er daß beim Mondenscheine
Im Busen fromme Ahndung brennt;
Er steht und sinnt, es rauschen alle Haine,
Es flieht, was ihn von den Gestorbnen trennt,
Freudigen Schrecks er sie als alte Freunde kennt.
Gern wandl' ich in der stillen Ferne,
In unsrer Väter frommen Zeit,
Ich seh, wie jeder sich so gerne
Der alten guten Mährchen freut,
Oft wiederholt ergötzen sie noch immer,
Sie kehren wieder wie dasselbe Mahl,
Der Hörer fühlt des Lebens Lust und Quaal,
Der Liebe holden Frühlingsschimmer.
Ob Ihr die alten Töne gerne hört?
Das Lied aus längst verfloßnen Tagen?
Verzeiht dem Sänger, den es so bethört,
Daß er beginnt das Mährchen anzusagen.


2.
Wie ein fremder Sänger an den Hof des
Grafen von Provence kam
.

In der Provence herrschte vor langer Zeit ein
Graf, der einen überaus schönen und herrlichen
Sohn hatte, welcher als die Freude des Vaters
und der Mutter erwuchs. Er war groß und stark,
und glänzende blonde Haare flossen um seinen Nak-

Erſte Abtheilung.
Der Dichter ſieht bemooſte Leichenſteine,
Die keiner ſeiner Freunde kennt,
Dann fuͤhlt er daß beim Mondenſcheine
Im Buſen fromme Ahndung brennt;
Er ſteht und ſinnt, es rauſchen alle Haine,
Es flieht, was ihn von den Geſtorbnen trennt,
Freudigen Schrecks er ſie als alte Freunde kennt.
Gern wandl' ich in der ſtillen Ferne,
In unſrer Vaͤter frommen Zeit,
Ich ſeh, wie jeder ſich ſo gerne
Der alten guten Maͤhrchen freut,
Oft wiederholt ergoͤtzen ſie noch immer,
Sie kehren wieder wie daſſelbe Mahl,
Der Hoͤrer fuͤhlt des Lebens Luſt und Quaal,
Der Liebe holden Fruͤhlingsſchimmer.
Ob Ihr die alten Toͤne gerne hoͤrt?
Das Lied aus laͤngſt verfloßnen Tagen?
Verzeiht dem Saͤnger, den es ſo bethoͤrt,
Daß er beginnt das Maͤhrchen anzuſagen.


2.
Wie ein fremder Saͤnger an den Hof des
Grafen von Provence kam
.

In der Provence herrſchte vor langer Zeit ein
Graf, der einen uͤberaus ſchoͤnen und herrlichen
Sohn hatte, welcher als die Freude des Vaters
und der Mutter erwuchs. Er war groß und ſtark,
und glaͤnzende blonde Haare floſſen um ſeinen Nak-

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[326/0337] Erſte Abtheilung. Der Dichter ſieht bemooſte Leichenſteine, Die keiner ſeiner Freunde kennt, Dann fuͤhlt er daß beim Mondenſcheine Im Buſen fromme Ahndung brennt; Er ſteht und ſinnt, es rauſchen alle Haine, Es flieht, was ihn von den Geſtorbnen trennt, Freudigen Schrecks er ſie als alte Freunde kennt. Gern wandl' ich in der ſtillen Ferne, In unſrer Vaͤter frommen Zeit, Ich ſeh, wie jeder ſich ſo gerne Der alten guten Maͤhrchen freut, Oft wiederholt ergoͤtzen ſie noch immer, Sie kehren wieder wie daſſelbe Mahl, Der Hoͤrer fuͤhlt des Lebens Luſt und Quaal, Der Liebe holden Fruͤhlingsſchimmer. Ob Ihr die alten Toͤne gerne hoͤrt? Das Lied aus laͤngſt verfloßnen Tagen? Verzeiht dem Saͤnger, den es ſo bethoͤrt, Daß er beginnt das Maͤhrchen anzuſagen. 2. Wie ein fremder Saͤnger an den Hof des Grafen von Provence kam. In der Provence herrſchte vor langer Zeit ein Graf, der einen uͤberaus ſchoͤnen und herrlichen Sohn hatte, welcher als die Freude des Vaters und der Mutter erwuchs. Er war groß und ſtark, und glaͤnzende blonde Haare floſſen um ſeinen Nak-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/337>, abgerufen am 22.11.2024.