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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Die schöne Magelone.
then. Die Amme antwortete: vertraue dich mir,
geliebtes Kind, denn eben darum bin ich älter und
liebe dich wie eine Mutter, daß ich dir guten An-
schlag geben möge, denn freilich weiß sich die Ju-
gend nie selber zu helfen.

Da die Prinzessin diese freundlichen Worte
von ihrer Amme hörte, ward sie noch dreister und
zutraulicher, und fuhr daher also fort: o Gertraud,
hast du wohl den unbekannten Ritter mit den sil-
bernen Schlüsseln bemerkt? Gewiß hast du ihn
gesehn, denn er ist der einzige, der bemerkenswerth
war, alle übrigen dienten nur, ihn zu verherrli-
chen, allen Sonnenschein des Ruhms auf ihn zu
häufen, und selbst in dunkler einsamer Nacht zu
wohnen. Er ist der einzige Mann, der schönste
Jüngling, der tapferste Held. Seit ich ihn gesehn
habe, sind meine Augen unnütz, denn ich sehe nur
meine Gedanken, in denen er wohnt, wie er in
aller seiner Herrlichkeit vor mir steht. Wüßte ich
nur noch, daß er aus einem hohen Geschlechte sey,
so wollte ich alle meine Hofnung auf ihn setzen.
Aber er kann aus keinem unedlen Hause stammen,
denn wer wäre alsdann edel zu nennen? O ant-
worte mir, tröste mich, liebe Amme, und gieb mir
nun Rath.

Die Amme erschrack sehr, als sie diese Rede
verstanden hatte; sie antwortete: liebes Kind, schon
seit lange waren meine Erwartungen so wie meine
Neugier darauf gerichtet, daß du mir gestehn soll-
test, welchen von den Edlen des Königreichs, oder
welchen Auswärtigen du liebtest, denn selbst die

Die ſchoͤne Magelone.
then. Die Amme antwortete: vertraue dich mir,
geliebtes Kind, denn eben darum bin ich aͤlter und
liebe dich wie eine Mutter, daß ich dir guten An-
ſchlag geben moͤge, denn freilich weiß ſich die Ju-
gend nie ſelber zu helfen.

Da die Prinzeſſin dieſe freundlichen Worte
von ihrer Amme hoͤrte, ward ſie noch dreiſter und
zutraulicher, und fuhr daher alſo fort: o Gertraud,
haſt du wohl den unbekannten Ritter mit den ſil-
bernen Schluͤſſeln bemerkt? Gewiß haſt du ihn
geſehn, denn er iſt der einzige, der bemerkenswerth
war, alle uͤbrigen dienten nur, ihn zu verherrli-
chen, allen Sonnenſchein des Ruhms auf ihn zu
haͤufen, und ſelbſt in dunkler einſamer Nacht zu
wohnen. Er iſt der einzige Mann, der ſchoͤnſte
Juͤngling, der tapferſte Held. Seit ich ihn geſehn
habe, ſind meine Augen unnuͤtz, denn ich ſehe nur
meine Gedanken, in denen er wohnt, wie er in
aller ſeiner Herrlichkeit vor mir ſteht. Wuͤßte ich
nur noch, daß er aus einem hohen Geſchlechte ſey,
ſo wollte ich alle meine Hofnung auf ihn ſetzen.
Aber er kann aus keinem unedlen Hauſe ſtammen,
denn wer waͤre alsdann edel zu nennen? O ant-
worte mir, troͤſte mich, liebe Amme, und gieb mir
nun Rath.

Die Amme erſchrack ſehr, als ſie dieſe Rede
verſtanden hatte; ſie antwortete: liebes Kind, ſchon
ſeit lange waren meine Erwartungen ſo wie meine
Neugier darauf gerichtet, daß du mir geſtehn ſoll-
teſt, welchen von den Edlen des Koͤnigreichs, oder
welchen Auswaͤrtigen du liebteſt, denn ſelbſt die

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[341/0352] Die ſchoͤne Magelone. then. Die Amme antwortete: vertraue dich mir, geliebtes Kind, denn eben darum bin ich aͤlter und liebe dich wie eine Mutter, daß ich dir guten An- ſchlag geben moͤge, denn freilich weiß ſich die Ju- gend nie ſelber zu helfen. Da die Prinzeſſin dieſe freundlichen Worte von ihrer Amme hoͤrte, ward ſie noch dreiſter und zutraulicher, und fuhr daher alſo fort: o Gertraud, haſt du wohl den unbekannten Ritter mit den ſil- bernen Schluͤſſeln bemerkt? Gewiß haſt du ihn geſehn, denn er iſt der einzige, der bemerkenswerth war, alle uͤbrigen dienten nur, ihn zu verherrli- chen, allen Sonnenſchein des Ruhms auf ihn zu haͤufen, und ſelbſt in dunkler einſamer Nacht zu wohnen. Er iſt der einzige Mann, der ſchoͤnſte Juͤngling, der tapferſte Held. Seit ich ihn geſehn habe, ſind meine Augen unnuͤtz, denn ich ſehe nur meine Gedanken, in denen er wohnt, wie er in aller ſeiner Herrlichkeit vor mir ſteht. Wuͤßte ich nur noch, daß er aus einem hohen Geſchlechte ſey, ſo wollte ich alle meine Hofnung auf ihn ſetzen. Aber er kann aus keinem unedlen Hauſe ſtammen, denn wer waͤre alsdann edel zu nennen? O ant- worte mir, troͤſte mich, liebe Amme, und gieb mir nun Rath. Die Amme erſchrack ſehr, als ſie dieſe Rede verſtanden hatte; ſie antwortete: liebes Kind, ſchon ſeit lange waren meine Erwartungen ſo wie meine Neugier darauf gerichtet, daß du mir geſtehn ſoll- teſt, welchen von den Edlen des Koͤnigreichs, oder welchen Auswaͤrtigen du liebteſt, denn ſelbſt die

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/352>, abgerufen am 22.11.2024.